Wahnsinn, der das Herz zerfrisst
sie gestern stirnrunzelnd bemerkt. »Aber dir könnte ein bißchen Sonne auch nicht schaden, Bruderherz.«
Augusta sammelte die Karten wieder ein und ließ sie noch ein letztes Mal prüfend durch die Finger gleiten. »In Ordnung, ich nehme sie. Weißt du«, wandte sie sich an Byron, »es ist eine gute Entspannung nach den Kindern und vor den Abrechnungen.« Sie unterbrach den geschäftigen Verkäufer beim Einpacken, zog nach kurzem Suchen eine Karte aus dem Stoß hervor und reichte sie Byron. »Das ist für dich, zur Erinnerung. Ich finde, sie sieht mir ähnlich,« Er drehte die Karte um. Es war die Kreuzdame, Augusta blinzelte ihm zu, »Da ich deine übergroße Zuneigung zu dem Prinzregenten kenne, konnte ich dir schlecht den König oder den Buben geben.«
»Meine Schwester ist in der Stadt«, schrieb Byron am achten Juli an seinen Freund, den irischen Dichter Thomas Moore,
»was ein großer Trost ist; - da wir nie viel zusammen gewesen sind, fühlen wir uns natürlicherweise mehr zueinander hingezogen, und es ist aufregend für uns, vor Fremden zusammen zu sein.«
Er begann, wieder Spaß an den Maskenbällen und Abendgesellschaften zu haben, die in der letzten Zeit zu einer lästigen Routine geworden waren. Unmöglich, sich mit Augusta zu langweilen oder irgend etwas im Leben ernst zu nehmen. Einmal, als er mit ihr in seiner Loge im Drury Lane Theater saß und darauf wartete, die unsterbliche Sarah Siddons in ihrer Abschiedsvorstellung als Lady Macbeth zu sehen, fiel ihm auf, daß Augusta etwas übermüdet und nachdenklich aussah. Er wußte, daß sie an diesem Tag Nachrichten aus Six Mile Bottom bekommen hatte.
»Von nun an«, sagte er rasch, »wirst du dir nicht mehr so viel Sorgen zu machen brauchen. Ich werde immer…« Augusta legte ihm die Hand auf den Mund. »Hebe dir diesen Ton für das Parlament auf, Lieber. Da unten findet die Tragödie statt, nicht hier.«
Byron verdrängte entschlossen jeden Gedanken daran, daß Augusta wieder abreisen könnte. Schließlich war sie gerade erst gekommen, und sie hatten sich so lange Zeit nicht gesehen.
Cousin George hatte Augusta ihre ganze Kindheit hindurch gekannt, ihm hingegen war erst mit vierzehn ein bloßer Briefkontakt gestattet worden. Er ertappte sich nicht zum erstenmal bei dem Gedanken, daß es am besten wäre, wenn Augusta überhaupt nicht verheiratet wäre. Sie könnte dann hier bei ihm bleiben, ihm den Haushalt führen und ihn somit der lästigen Notwendigkeit entheben, nur aus diesem Grund eine Ehe einzugehen. Ohnehin würde keine Frau ihn je so gut verstehen wie Augusta.
Da aber solche Spekulationen sinnlos waren, überließ er sich dem glücklichen Augenblick. Als er Augusta, die ihren Pflichten bei der Prinzessin nachkommen mußte, einmal mehrere Tage nicht sah, bemerkte er an sich eine merkwürdige Unruhe. Er vermißte sie bereits, obwohl das absurd war, Um sich abzulenken, streifte er nochmals durch St. Paul’s und suchte ein Geschenk für sie. Endlich entschied er sich für ein Parfüm, das ihm kennzeichnend für Augusta vorkam: bittersüß, sehr flüchtig und trotzdem haftend.
Als er es ihr überreichte, fühlte er sich irgendwie lächerlich und wandte den Kopf ab, so daß ihr dankbarer Kuß ihn auf den Hals traf und einen Teil seines Kragens mit roter Schminke bedeckte.
»Bleib stehen«, sagte Augusta, »ich entferne es.« Sie lief zu der nächsten Blumenvase und tauchte ein Taschentuch, das sie irgendwo hergezaubert hatte, hinein. »So ein Vorkommnis im letzten Jahr«, sagte Byron, während Augusta versuchte, den roten Fleck zu entfernen, »und Caroline Lamb hätte mir die Augen ausgekratzt. Sie sah mich ständig von mindestens drei Mätressen gleichzeitig umgeben.«
»Sie hat dich unterschätzt«, antwortete Augusta, völlig in ihre Beschäftigung vertieft, »unter einem Harem tust du es nicht.« Ihre Nähe verwirrte ihn.
An diesem Abend waren sie bei Lady Glenverbie eingeladen, und Augusta freute sich schon sehr darauf. Sie war eine pragmatische Natur, und hatte sich die Sorgen um Familie und Six Mile Bottom für ihre Rückkehr dorthin aufgehoben. Augusta wußte, daß sie ohnehin nur wenige Wochen in London bleiben konnte - zwei oder drei vielleicht, länger nicht - und fand es sinnlos, sich jetzt schon den Kopf über Dinge zu zerbrechen, die sie ohnehin erst später erledigen konnte. Erstmals seit ihrer Hochzeit hatte sie mehr als vierundzwanzig Stunden ganz für sich, und sie war entschlossen, diese Unterbrechung aller
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