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Wahnsinn, der das Herz zerfrisst

Wahnsinn, der das Herz zerfrisst

Titel: Wahnsinn, der das Herz zerfrisst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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erstaunliches Geschick darin, in den Klippen herumzuklettern, und ihre Mutter mußte Georgina einschärfen, die Kleine keinen Augenblick alleine zu lassen. Henry war, dem Himmel sei Dank, damit zufrieden, sich mit Wasser und Sand so dreckig wie möglich machen. »Wie nennst du deine Jüngste eigentlich«, fragte Byron,
    »Elizabeth oder Medora?«
    »Mignonne«, erwiderte Augusta und atmete tief die rauhe Seeluft ein. »Sie ist so klein, und ihre beiden Namen sind viel zu würdevoll für sie.«
    Byron fühlte sich immer noch nicht dazu berufen, den Ersatzvater für Augustas Kinder zu spielen, aber er liebte sie auf seine Weise. Als er entdeckte, daß keiner der kleinen Leighs schwimmen konnte - woher auch? -, bot er an, es ihnen beizubringen.
    »Nur Georgiana«, sagte Augusta, »die anderen beiden sind noch zu klein.« Augusta Charlotte hatte so lange nichts dagegen, bis sie Byron und ihre Schwester im Wasser sah und begriff, daß sie sie nicht mitnehmen würden. Darauf brach sie in ein ohrenbetäubendes Gebrüll aus, das ihre Mutter nur mit einem Gang zu den Klippen beschwichtigen konnte. Augusta beobachtete ihren Bruder und Georgiana, und für einen Moment wünschte sie sich, nie mehr nach Six Mile Bottom zurückkehren zu müssen.
    Liebster Byron. Er würde immer jemanden brauchen, der sich um ihn kümmerte, für ihn sorgte, der ihn liebte und den er lieben konnte. Genau deswegen sollte er auch heiraten und nicht den Einsiedler im Exil spielen, was das Geschwätz ebenfalls zum Schweigen gebracht hätte. Er würde es nie zugeben, doch er kam ganz einfach ohne die Menschen nicht zurecht.
    Eines Nachts, als sie sich alle glücklich, müde und erschöpft zurückziehen wollten, hielt Byron Augusta am Arm fest und flüsterte: »Du bist bis jetzt kein einziges Mal ins Meer gegangen.« Sie verzog das Gesicht. »Wann denn?« Er zwinkerte ihr zu. »Jetzt zum Beispiel.« Mit einem raschen Blick vergewisserte er sich, daß niemand zuhörte. »Liebes Gänschen, die Nanny schläft ihren wohlverdienten Schlaf, deinen Kindern habe ich einen Knebel umgebunden und Fletcher mit dem Baby in die Türkei auf den Sklavenmarkt geschickt - also komm mit mir schwimmen.«
    Als sie sich überzeugt hatten, daß auch wirklich jeder schlief, schlüpften sie verstohlen in die Dunkelheit hinaus und liefen auf den Strand zu. Die Nacht war warm, fast schwül, und Augusta trug nur den Morgenrock, den ihr Ehemann ihr anläßlich der Geburt ihrer Tochter geschenkt hatte. Eine Geste die kennzeichnend für George war: Er hatte Glück auf der Rennbahn gehabt und einen kleinen Gewinn erzielt. Vor lauter Rührung lief er in das nächste Modegeschäft und kaufte für Augusta einen Hauch von Spitze.
    Sie hatten beschlossen, nackt zu baden, da sie ohnehin niemand sehen würde, und Byron kam es vor, als vereinigten sich in Augusta Meer, Nacht und die sanfte Brise, die in diesem Augenblick wehte, zu einem unbestimmbaren Ganzen. »In ihrer Schönheit wandelt sie / Wie wolkenlose Sternennacht; / Vermählt auf ihrem Antlitz sieh / Des Dunkels Reiz, des Lichtes Pracht: / Der Dämmrung zarte Harmonie, / Die hinstirbt, wenn der Tag erwacht.«
    Sie streckte versuchsweise den Fuß ins Wasser und erschauerte.
    »Das hast du für Mrs. Wilmot geschrieben, du Schuft, denke nur nicht, daß ich das nicht weiß!« Sie kicherte und fügte hinzu:
    »Kein Wunder, daß Cousin Robert eifersüchtig war!« Er berührte ihre Schulter. »Du würdest mir nicht glauben, daß ich dabei an dich gedacht haben muß, oder?« Byron spürte, wie ihr Haar ihn streifte, als sie den Kopf schüttelte. »Nein. Ich bin nicht schön.«
    Sie bückte sich plötzlich und begann, ihn mit dem salzigen Meerwasser zu bespritzen. »Aber ich bin wirklich gut darin, dir das einzureden!« Diesmal war sie nicht schwanger. Er hob sie mühelos auf und warf sie ein paar Meter weiter in das tiefere Wasser, folgte ihr und tauchte sie mehrmals unter. Augusta war wendig wie eine Katze, und sie balgten sich eine Zeitlang halb über, halb unter der Meeresoberfläche. Dann, so spontan wie er gekommen war, verschwand ihr Übermut, und sie begannen, still hinauszuschwimmen. Augusta genoß die bebende Kühle um ihren Körper und überließ sich ganz dem Gefühl der rhythmischen, langsamen Bewegung.
     
    Als sie in dieser Nacht, naß und zufrieden, in das Haus zurückkehrten, war jeder Gedanke an eine noch so kurze Trennung verflogen.
    Am nächsten Tag bekamen sie Besuch von ihrem Cousin, Captain George Byron, der den Titel der

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