Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wahnsinn, der das Herz zerfrisst

Wahnsinn, der das Herz zerfrisst

Titel: Wahnsinn, der das Herz zerfrisst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
Vom Netzwerk:
daß der impulsiv großzügige Byron an mehrere seiner Freunde - Hodgson zum Beispiel und auch an den »kühnen« Webster - größere Summen ausgeliehen hatte, die er nie mehr wiederbekommen würde. Aber andererseits…
    »Mag sein«, sagte sie. »Das begründet trotzdem noch nicht sein Verhalten mir gegenüber.«
    Augusta warf ihr einen etwas merkwürdigen Blick zu und fragte dann nach Byrons Eßgewohnheiten. »Willst du andeuten, seine Mahlzeiten seien ein Grund?« stieß Annabella empört hervor.
    »Einer von vielen«, erwiderte Augusta ungerührt. »Er hat wirklich ziemlich abgenommen, und ich weiß, wie seine Hungerkuren aussehen. Von Soda und Biskuits allein kann man nicht gut leben, Bell. Glaub mir, ich habe Kinder, ich weiß, wie wichtig gesunde Ernährung ist. Und wenn er noch dazu trinkt…«
    Annabella erinnerte sich, daß Byron an manchen Tagen bis zu sechs Sodaflaschen hintereinander geleert und sonst nichts zu sich genommen hatte. Eine exzentrische Dichtergewohnheit, hatte sie gedacht, und auch zeitweise versucht, ihn davon abzubringen. Doch sie fand es abwegig und oberflächlich, unkontrollierte Wutanfälle auf mangelhaftes Essen zurückzuführen, und das teilte sie Augusta in einem etwas pikierten Ton auch mit. Augusta umarmte sie.
    »Bell, ich will ihn doch nicht entschuldigen, nur erklären.« Annabella war versöhnt und erkundigte sich, ob Augusta mit George Leigh ähnliche Schwierigkeiten hätte. »O dear, nein - er ist nie lange genug da, um mir Schwierigkeiten zu machen.«
    »Vielleicht«, sagte Annabella, mit den Gedanken schon wieder bei etwas anderem, »liebt er mich Thyrzas wegen nicht.« Augusta stutzte. »Natürlich liebt er dich… und wen meinst du mit Thyrza?« Mit dieser Frage hatte Annabella nicht gerechnet und gab kurz wieder, was Byron ihr berichtet hatte.
    »Also, ich kann es nicht beschwören, weil wir zu diesem Zeitpunkt zerstritten waren - hat er dir davon erzählt? -, aber wenn er so unsterblich in ein Mädchen verliebt gewesen wäre, wie du sagst, dann hätte er sie auch geheiratet. Und ganz bestimmt hätte ich gehört, wenn eine Frau, mit der er zwei Kinder hatte, Selbstmord begangen hätte. Du weißt doch, wie in großen Familien geklatscht wird.« Annabella war nicht überzeugt.
    Zum Lunch aß Byron nichts, was Annabella wider Willen an Augustas Theorie erinnerte. Sie machten Pläne über ihr gemeinsames Leben in London, was Byron abwechselnd zu bissigen und witzigen Kommentaren anregte.
    Schließlich sagte er, zu seiner Schwester gewandt: »Lady Melbourne mag dich nicht, Augusta.« Sie entgegnete gelassen: »Ich wüßte nicht, warum.« Byron beugte sich über den Tisch und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Augusta blieb ungerührt. Doch Byrons Augen begannen zu glitzern. »Ich werde es erzählen, Gus.« Die Stimme seiner Schwester klang vollkommen ruhig.
    »Das ist mir egal.«
    »Soviel zur Schamhaftigkeit der Frauen«, sagte Byron und unterließ für den Rest des Tages alle weiteren Bemerkungen dieser Art.
    Trotzdem wurde der Abend schlimmer als der vorhergehende.
    Es fing ganz harmlos an, mit einer Diskussion über Napoleons Rückkehr von Elba. »Ich glaube, er wird es wieder schaffen«, bemerkte Byron, »Europa hatte ja nichts Besseres zu tun, als erst in London und dann in Wien alte Schuster mit durchtanzten Sohlen wieder auf Trab zu bringen.«
    »Du kannst diesen Mann doch unmöglich bewundern!« rief Annabella schockiert.
    Byron antwortete ausnahmsweise ehrlich: »Doch, ich bewundere ihn. Aber das heißt nicht, daß ich ihn nicht für einen Tyrannen halte. Nur ist es meiner Meinung nach besser, von einem genialen Tyrannen regiert zu werden, als von irgendeinem der verdammten Fossilien, die sonst überall mit ihren Hintern den Thron warmhalten.«
    »Byron!«
    »Kannst du mir vielleicht sagen, wozu unser Wahnsinniger sonst noch fähig ist? Sein Sohn natürlich wird alle erretten. Er erweist sich jetzt schon als so überlegen.« Byron goß sich ein weiteres Glas Brandy ein. »Das ganze überkommene System sollte abgeschafft werden. Meiner Meinung nach ist die einzig wahre Staatsform die Republik.
    Zum Teufel mit allen Monarchien!«
    Annabella schluckte und sagte unverhohlen tadelnd: »Ich kann diese Ansicht nicht teilen.«
    »Nein, woher auch? Du teilst nur deine eigenen Ansichten, mein Engel.« Mittlerweile war aus seinem gespielten Ärger wirklicher Zorn geworden. Er trank seinen Brandy mit einem Zug aus und griff erneut nach der Flasche.
    Eigentlich verstand er selbst

Weitere Kostenlose Bücher