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Wahnsinn, der das Herz zerfrisst

Wahnsinn, der das Herz zerfrisst

Titel: Wahnsinn, der das Herz zerfrisst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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nach Byrons Freunde kennen. Ihr Urteil fiel überwiegend negativ aus. Thomas Moore war ihr zu leichtfertig (hatte er nicht unter einem leicht durchschaubaren Pseudonym unanständige Gedichte verfaßt?), Scrope Davies zu gottlos und oberflächlich, und Douglas Kinnaird ging schon allein durch seinen berühmten Brandy ihrer Wertschätzung verloren. Hodgson, der Diakon aus Cambridge, fiel vielleicht noch unter die Kategorie »respektabel«. Aber auch er sprach für ihren Geschmack Kinnairds Brandy zu gerne zu. Und allesamt neigten sie ständig dazu, den Ernst des Lebens zu vergessen.
    Byron schrieb an einer Tragödie, aus der er ihr Teile vorlas.
    Annabella hoffte, wieder mit der Reinschrift betraut ZU werden. Aber dann erklärte er, das Manuskript verbrannt zu haben.
    »Oh, warum?« rief sie bestürzt. »Das Thema war doch wirklich erhaben!«
    »Meine Liebe«, sagte er und gähnte, »die Tragödie wurde zu realistisch.«
    Anfang Juni konnte Annabella sicher sein, ein Kind zu erwarten. Dieser Zustand machte sie nur halbwegs glücklich, denn sie sah sich wieder in die verhaßte Situation gebracht, zur Hilflosigkeit verurteilt zu sein. Andererseits verhielt sich Byron jetzt ihr gegenüber nicht nur freundlich, sondern auch liebevoll. Sie hatte sich endlich einen Kosenamen für ihn ausgedacht, »Ente«
    (als Pendant zu »Gans«), und da sie nie auf den Gedanken gekommen wäre, er könnte das als Anspielung auf seine Behinderung verstehen, gebrauchte sie diese Bezeichnung bei jeder Gelegenheit. So schrieb sie ihm, als er Augusta für ein paar Tage besuchte und sie bat, ihm eine Arznei nachzuschicken.
     
    Liebling Ente,
    Ich fühle mich, als ob B- sich selbst liebte, was mir mehr als alles andere gut tut, und die junge Pip zum Hüpfen bringt. Du würdest lachen, wenn Du die Auswirkungen Deiner Abwesenheit sehen und noch viel mehr hören könntest - Teppiche werden geklopft, Treppen gefegt, klopfen, schrubben, bürsten! -
    Durch all das werde ich früh aufgeweckt… Das alte Sprichwort
    - ›Ist die Katze aus dem Haus, tanzen die Mäuse‹ -
    Sie sollen ihren Urlaub haben, aber ich kann meinen nicht genießen. In der Tat, in der Tat ist ein unartiger B tausendmal besser als überhaupt kein B.
    Ich wage nicht, mehr zu schreiben, aus Furcht, Du könntest durch die Länge erschreckt werden, und überhaupt nichts lesen.
    Also werde ich den Rest Gans erzählen.
    Ich hoffe, Du rufst ›Pip, pip, pip‹ - immer wieder. Ich denke, ich höre Dich - aber ich werde nicht melancholisch werden…
     
     
    Sie las den Brief noch einmal durch, ehe sie ihn versiegelte, und sparte eine flüchtige Verwirrung. Irgendwie klangen die Spitznamen bei ihr nicht wie bei Byron und Augusta.
    Mit fortschreitender Schwangerschaft begann sie die Anwesenheit von Byrons Freunden mehr und mehr zu stören. Als sie dies erkennen ließ, ging Byron häufiger mit der »Picadilly Crew«, wie Annabella sie heimlich bezeichnete, außer Haus.
    Annabella war gekränkt und reagierte zuerst mit Vorwürfen, dann mit kleineren Krankheiten, eine Ausflucht, die sie schon als Kind erprobt hatte. Byron war zunächst voll Mitleid, was aber bald in Ärger umschlug. Er hatte Augusta schwanger erlebt. Warum ertrug Annabella diesen Zustand so schlecht?
    Immer öfter war er außer Haus, und Annabella fand bald heraus, daß er nicht nur mit der Picadilly Crew unterwegs war, sondern seine Zeit auch mit einer Frau verbrachte, der Schauspielerin Susan Boyle. Annabella beschränkte sich zunächst auf würdevolle Vorhaltungen, doch die Szene endete damit, daß sie in Tränen aufgelöst war.
    Als Annabella einmal vor dem Kamin stand und sah, daß er fröstelte, fragte sie ihn unvorsichtigerweise: »Stehe ich dir im Weg?«
    »O ja«, entgegnete er, »verdammt im Weg.«
    Nichts hatte sich geändert, als seien jene mehr oder weniger friedlichen Monate von einer boshaften Hand ausgelöscht worden. Alles war wieder wie früher. Und noch immer fühlte sich Annabella dieser Belastung einfach nicht gewachsen. Jemand mußte ihr helfen. Augusta - Augusta war die einzige, die sie verstand. Annabellas Briefe wurden wieder verzweifelter und endeten in offenen Hilferufen:
    »Ich habe bis zuletzt in der Hoffnung auf einige Veränderungen gewartet - aber alles ist unerträglicher Stolz & Härte. O Augusta, wird es sich je für mich ändern - ich weiß kaum, was ich sage. Obwohl ich gestern versucht habe das Beste aus den Dingen zu machen, habe ich, als Selbstbetrug unmöglich wurde, gedacht, daß sein

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