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Wahnsinn, der das Herz zerfrisst

Wahnsinn, der das Herz zerfrisst

Titel: Wahnsinn, der das Herz zerfrisst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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Kopf seit Samstag (in dieser Nacht saß er mit Kinnairds Gesellschaft bis halb fünf Uhr morgens da und trank) nicht mehr ganz richtig war - und er wird, fürchte ich, mehr und mehr Grund hinzufügen.«
    Annabella fürchtete, er könnte wahnsinnig sein. Hatte er nicht selbst zugegeben, daß dies in seiner Familie schon vorgekommen war? Augusta mußte ihr helfen. Sie hatte es längst vorgezogen, das merkwürdige Gefühl in jener Nacht in Six Mile Bottom zu ignorieren. Sie brauchte Augusta und drängte auf ihr Kommen. Augusta wehrte ab. Am elften November, als Byron davon gesprochen hatte, Susan Boyle in ihrem Haus einzuquartieren, schrieb Annabella ihren letzten Appell: Laß mich Dich Mitte der Woche sehen - spätestens. Hobhouse ist gekommen - um einen Plan für eine Auslandsreise zu arrangieren, wie ich großen Grund habe zu glauben. Mein Kopf schmerzt - er wurde gequält - aber ich will nicht mehr auf dem Papier sagen. Du wirst gut tun, denke ich - wenn es irgendwie getan werden kann.
     
    Meine liebste A, ich fühle all Deine Freundlichkeit.
     
     
    Am fünfzehnten November traf Augusta in dem Haus am Picadilly ein.
    Beide erwarteten sie mit einiger Nervosität, schweigend in der großen Empfangshalle sitzend. Byron begann, leise die Melodie eines seiner albanischen Lieder zu summen. Annabella blätterte unruhig in ihrer Ausgabe von Gibbons Weltgeschichte. Endlich sagte ihr Mann: »Du bist eine Närrin, Bell, daß du sie hierher eingeladen hast.« Annabella fragte verstört: »Aber ich dachte, du magst deine Schwester.«
    »Eben deswegen will ich sie ja nicht hier haben.« Schweigen. Annabella starrte fünf Minuten lang auf dieselbe Seite und dachte darüber nach, was aus der selbstsicheren, kühlgelassenen Miss Milbanke geworden war.
    »Ich frage mich, was Gus zu der Boyle sagen wird. Vermutlich runzelt sie die Stirn und schimpft mich aus. Aber«, Byron sah Annabella direkt an, »ich kann Augusta über alles zum Lachen bringen.«
    »Das ist höchst bedauerlicherweise wahr«, antwortete sie scharf. Erneut trat Stille ein. Dann kam Fletcher und meldete, Mrs. Leighs Wagen sei vorgefahren. Sie sprangen beide auf.
    Annabella erreichte sie zuerst, umarmte sie und spürte Augustas Hand beruhigend über ihr Haar streichen. »Ich… ich… o Augusta!« Augusta küßte sie und wandte sich ihrem Bruder zu. Er musterte sie von oben bis unten und entdeckte etwas, das Annabella entgangen und eigentlich auch kaum zu erkennen war. »O nein - du bist schon wieder schwanger!«
    Augusta zuckte diesmal merklich zusammen. Sie wußte genau, warum er es tat. Seit Annabellas Schwangerschaft fortgeschritten war, hatte sich Byron in ein eingebildetes Treuegelübde mit Augusta geflüchtet. Diese Erkenntnis war daher für ihn niederschmetternd.
    Augusta fühlte sich müde und abgespannt, und das nicht nur von der Reise. Sie hatte nicht geheuchelt, als sie Annabella von den Schwierigkeiten mit ihrer mittleren Tochter schrieb. Nachdem sie die kleine Augusta einmal dabei gefunden hatte, wie sie einem verletzten Vogel mit einem Stein den Kopf einschlug und ihm systematisch die Federn ausriß, hatte sie sie mehrmals ärztlich untersuchen lassen. Die Diagnose, auch wenn sie von einem Landarzt aus Newmarket kam, war erschreckend gewesen.
    Seiner Meinung nach lag ein Fall von Schwachsinn vor. »Vielleicht irre ich mich auch, Mrs. Leigh, und das Kind ist nur etwas zurückgeblieben, schließlich sind vier Jahre noch kein Alter. Nur, wenn ich recht habe, können Sie von Glück sagen, wenn es nicht bösartig ist. Auf keinen Fall würde ich sie länger ohne Aufsicht lassen. Am besten geben Sie sie in ein Heim.«
    Augusta klammerte sich an den dünnen Hoffnungsfaden der leichten Zurückgebliebenheit. Der Doktor hatte sie anschließend gefragt, ob sie und George miteinander verwandt seien.
     
    Als sie bestätigend nickte, nahm sein Gesicht einen bekümmerten Ausdruck an. »Das dachte ich mir, Mrs. Leigh. Sehen Sie, in Familien wie der Ihren heiratet man immer wieder untereinander, und auf der Universität hat man mich gelehrt, daß so etwas schlechte und ungünstige Anlagen fördern soll. Aber wer hört heutzutage schon auf einen solchen Ratschlag?«
    Augusta versuchte ihre eigenen Sorgen beiseite zu schieben.
    Byron und Annabella hatten genug Probleme, Annabellas Gesicht war aufgedunsen, die Hand- und Fußgelenke geschwollen, und sie schrak bei dem geringsten Laut zusammen. Später, als sie beide allein waren und Augusta ihre Sachen auspackte,

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