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Wahnsinn, der das Herz zerfrisst

Wahnsinn, der das Herz zerfrisst

Titel: Wahnsinn, der das Herz zerfrisst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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Augusta ihren eigenen Ansichten nicht zuwider handeln, so blieb ihr jetzt keine andere Wahl, als beide einzuladen, Byron und Annabella. Sie schrieb Annabella, die sofort begeistert zusagte.
     
    Annabella hatte noch immer nicht an Sicherheit gewonnen.
    Mittlerweile hatte sie Gelegenheit gehabt, Byron im gewöhnlichen Alltagsleben zu beobachten: so zum Beispiel seine unerschütterliche Freundlichkeit gegenüber allen Bediensteten, selbst denen, die er verabscheute; die kindische Freude, die er daran hatte, in den Klippen von Seaham herumzuklettern und sich über ihr ängstliches Zögern lustig zu machen.
    Doch all dies änderte nichts an seinem Verhalten abends, wenn sie allein waren. Beispielsweise schien er manchmal Dinge zu sehen, die einfach nicht da sein konnten. Annabella war unfähig, diese Merkwürdigkeiten zu deuten, bis sie einen klaren Hinweis von Augusta erhielt:
    »…liebste Annabella, erlaube ihm nicht mehr, auf diese Weise den Narren zu spielen, & verstecke bitte Deine Brandyflasche - ich glaube, er hat sie gestohlen…«
    Erst jetzt wurde Annabella aus ihren Betrachtungen über ihre seltsame Ehe gerissen und stellte fest, daß ihr Gatte angefangen hatte, sich regelmäßig zu betrinken.
     
    Auf dem Weg nach Six Mile Bottom herrschte das inzwischen gewohnte unbehagliche Schweigen zwischen den Eheleuten.
    Annabella, die sich in Gedanken schon mit Augusta beschäftigte, fragte schließlich: »Warum nennst du deine Schwester eigentlich Gans?« Er zuckte die Schultern, »Ist sie so dumm? Sicher, sie scheint nicht unbedingt logisch zu denken, aber ich hatte an und für sich den Eindruck…«
    »Sie ist ein Narr«, unterbrach er sie, »und ich bin einer, und du auch.« Sie verstummte und fühlte sich einmal mehr verletzt.
    »Du hast mich doch geheiratet, um mich glücklich zu machen, oder?« Annabella war völlig überrascht und stammelte: »Ja…
    ja, natürlich…« Er umarmte sie vollkommen unerwartet und küßte sie. »Nun, du machst mich glücklich.«
     
    Sie betraten Six Mile Bottom gemeinsam. Byron rief unsicher:
    »Gus?« Als Antwort stürmten die Kinder auf ihn los, die aufgeregte Nanny hinterher. Annabella beobachtete erstaunt, wie vertraut sie mit ihm schienen, hatte er ihr doch einmal gesagt, daß er Kinder nicht besonders mochte. Dann vernahm sie eine Stimme: »Laßt ihn leben, um Himmels willen, wir brauchen ihn noch!«
    Annabella drehte den Kopf und sah Augusta Leigh auf der Treppe stehen, eine große, schlanke Frau von einunddreißig Jahren, die mit ihrem dunkelbraunen Haar und den regelmäßigen Gesichtszügen an Byron erinnerte und um deren Mund ein belustigtes Lächeln lag. Augusta zögerte einen winzigen Augenblick, dann ging sie auf Annabella zu und gab ihr die Hand.
    »Du mußt nicht denken, daß es bei uns immer so drunter und drüber geht, Liebes. Normalerweise sind wir nur ein Irrenhaus!« Annabella verstand kein Wort von dem, was Augusta sagte. Sie erwiderte etwas förmlich: »Meine liebe Augusta - wie ich mich freue, dich zu sehen.«
    Byron hatte sich inzwischen von den Kindern befreit. Er trat zu seiner Schwester und gab ihr einen leichten, hauchzarten Kuß auf die Wange. Mit deutlich auf Annabella gezieltem Spott sagte er: »Meine liebe Augusta!« Dann brach seine Stimme plötzlich. »O Gus, ich habe dich so sehr vermißt!« Annabella fühlte einen winzigen Stich in der Brust - zu ihr hätte er nie so gesprochen - und schämte sich gleich darauf. Er hatte nur diese eine Schwester. Warum sollte er sie nicht vermissen?
    Augusta wirkte etwas schüchtern, als sie ihrer Schwägerin anbot, diese durch das Haus zu führen. »Wenn du es gerne möchtest.« Sie zwinkerte ihrem Bruder zu und sagte schnell: »Byron wird sich inzwischen gerne um die Kinder kümmern.« Er antwortete: »Irgendwann skalpiere ich dich, Gus.« Annabella war schockiert. Sie glaubte, Augusta trösten zu müssen, und flüsterte, während sie gemeinsam die Treppe emporstiegen: »Bestimmt meint er es nicht böse, Augusta.« Zu ihrer Verblüffung lachte Byrons Schwester. »Wenn ich das denken würde, hätte ich ihn schon längst in den nächsten Dorfteich befördert.«
    Sie zeigte Annabella die Zimmer, die sie während der Zeit ihres Aufenthalts hier bewohnen würden. »Ich hoffe, sie gefallen dir.
    Ein wenig klein vielleicht, aber um etwas anderes zu finden, hätte ich die Nanny im Bett des Stallknechts unterbringen müssen.« Sie deutete Annabellas entsetzten Blick richtig und fügte hinzu: »Liebes, du mußt doch

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