Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wahnsinn, der das Herz zerfrisst

Wahnsinn, der das Herz zerfrisst

Titel: Wahnsinn, der das Herz zerfrisst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
Vom Netzwerk:
nicht, warum Annabella ihn so wütend machte. Hodgson beispielsweise vertrat ähnliche Ansichten wie sie, und die Debatten mit ihm hatten immer in Freundschaft und gegenseitiger Achtung geendet. Aber wenn er mit Annabella sprach, fühlte er irgend etwas Dunkles, Unkontrollierbares in sich aufsteigen, das sich Luft machen mußte, und seine eigene Ungerechtigkeit brachte ihn nur noch mehr auf.
    »Byron«, sagte Augusta sanft, »du trinkst zuviel.«
    »Ja«, antwortete er herausfordernd, »warum tue ich das wohl? ›Wir scheiden, wir fliehen - und kehren zurück!‹ Weißt du, wann ich das geschrieben habe, Gus?«
    »Meiner Meinung nach ist dieses Gedieht…« begann Annabella. Ihr Gatte explodierte.
    »Deine Meinung interessiert niemanden!« Annabella erstarrte, unfähig, auch nur einen klaren Gedanken zu fassen. Augusta ging zu ihr hinüber, umarmte sie und küßte sie auf beide Wangen. Dann wandte sie sich mit blitzenden Augen an ihren Bruder. »Mich interessiert, was sie denkt, und ich erlaube nicht, daß du sie unter meinem Dach schlecht behandelst!« Annabella brach in Tränen aus. Sie ließ sich von Augusta in ihr Zimmer führen, klammerte sich an ihrer Hand fest und schluchzte. »Er liebt mich nicht, o Augusta, er haßt mich.« Augusta half ihr, sich zu entkleiden, zog ihr das Negligée über und schüttelte ihr Kissen zurecht. »Er ist betrunken«, sagte sie kurz, »und das werde ich ändern. Gute Nacht, Bell.«
    Annabella lag lange wach und wartete auf ihren Ehemann. Als er kam, sprach er kein Wort mit ihr, und sie hörte in dieser Nacht, wie er im Schlaf redete. Er schien Alpträume zu haben.
    Es war eine wirre Mischung aus Flüchen und Bitten, ihn nicht zu verlassen, bis er schließlich hochfuhr und schrie: »Rühre mich nicht an!« Zuerst dachte sie, er meine wirklich sie persönlich, aber dann entdeckte sie, daß er gerade erst aufgewacht war.
    Er starrte sie an, ohne sie zu erkennen. »Byron«, flüsterte sie,
    »ich bin es, Bell.« Zum erstenmal gebrauchte sie diesen Namen, mit dem nur Byron und Augusta sie ansprachen. Sein Blick klärte sich langsam, und er strich mit der Hand behutsam über ihr Gesicht. »Es tut mir leid, Bell.« Er zog sie an sich und war zärtlicher zu ihr als selbst in ihrer Hochzeitsnacht. Er gebrauchte sogar wieder ihren vertrauten Kosenamen Pip. Auch nachdem er längst wieder schlief, schaute Annabella ruhelos in das Dunkel und grübelte darüber nach, warum sie Augusta, die dieses Wunder vollbracht hatte, mit einem Mal fast haßte.
     
    Am dreißigsten März kamen Lord und Lady Byron nach London, um ihr neues Heim am Picadilly zu beziehen. Annabella fand es tatsächlich zu groß, aber sie wäre lieber gestorben, als es zuzugeben. Erst als sie sich überzeugt hatte, daß es allein Byrons Fehler war, gestattete sie sich, ihrer Mutter in diesem Sinne zu schreiben. Sie fühlte sich ansonsten nicht unzufrieden.
    Byron behandelte sie mit gleichgültiger Freundlichkeit, sie hatte ihr eigenes Schlafzimmer, und sie merkte, wie sie von der weiblichen Londoner Gesellschaft beneidet wurde.
    Lady Jersey beispielsweise, die standesgemäße Mätresse des Prinzregenten, die er sofort nach dem Sommer der Souveräne wieder aufgegeben hatte, sowie seine fürstlichen Gäste zum Wiener Kongreß abwanderten, hatte sich durchaus ihre Vorliebe für Byron bewahrt. Als der Prinzregent sich sogar geweigert hatte, das von ihm bestellte Porträt der Lady zu bezahlen - statt dessen schickte er es seiner ehemaligen Mätresse, zusammen mit der Rechnung -, hatte Byron ein mitfühlendes Gedicht für die Dame geschrieben, der man einst einen kurzen Flirt mit ihm nachsagte. Zudem bot sich hier wieder die Gelegenheit, den Prinzen zu attackieren, und so eine Chance ließ er nie vorbeigehen. Lady Jersey erinnerte sich seiner in Dankbarkeit und schien bei ihrem Empfang des jungen Paares von seiner Heirat nicht übermäßig entzückt zu sein.
    Unter den ersten Gratulanten zum Einzug befand sich Caroline Lamb. Anfangs war sie die Freundlichkeit in Person. Erst als Byron in ihrer Anwesenheit den Arm um Annabellas Taille legte, brach sie in schneidendes Gelächter aus, drehte sich um und verließ das Haus. Annabella fühlte sich hin und her gerissen: entweder war Caroline einfach eifersüchtig, oder… Sie dachte an das berühmte Urteil ihrer Cousine, als diese Byron kennenlernte (Caroline hatte dafür gesorgt, daß es sehr schnell die Runde machte): verrückt, schlimm und gefährlich zu kennen.
    Annabella lernte nach und

Weitere Kostenlose Bücher