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Wahnsinn, der das Herz zerfrisst

Wahnsinn, der das Herz zerfrisst

Titel: Wahnsinn, der das Herz zerfrisst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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bestimmt, »es ist mittlerweile bekannt, daß Lord Byron zwei der schlechtesten Frauen in ganz London zu seinen Vertrauten gemacht hat und sogar soweit gegangen ist, ihnen deine Briefe zu zeigen, liebe Augusta. Lady Caroline Lamb sagt…« Augusta verzog den Mund. »Lady Caroline Lamb«, unterbrach sie verächtlich, »würde sogar noch dann lügen, wenn sie im Sterben liegt - sofern sie glaubte, etwas damit erreichen zu können.«
    »Mag sein«, entgegnete Mrs. Villiers glatt. »Aber Lady Melbourne…« Sie wurde schon wieder unterbrochen, diesmal von einer lachenden Augusta. »Lady Melbourne? Ist sie die andere schlechteste Frau von ganz London? Aber Thelma, was hat dir die arme Lady getan?« Mrs. Villiers öffnete den Mund, um eine hitzige Auflistung der Sünden von Lady Melbournes jüngeren Jahren zu bringen. Hatte nicht Lady Melbournes Freundin, die Herzogin von Devonshire, den schockierenden Ausspruch der Lady verbreitet, eine Frau sei nur verpflichtet, ihrem Gemahl einen Erben zu schenken, und könne dann tun was sie wolle?
    Oh, Lady Melbourne gäbe ein ergiebiges Thema ab, doch Mrs. Villiers hielt abrupt inne, als sie den Schalk erkannte, der in Augustas Augen blitzte. Augusta war schon seit ihrer Kindheit sehr gut darin gewesen, ihre Freundin Thelma von etwas abzulenken, über das sie nicht sprechen wollte, doch dieses Mal würde sich Mrs. Villiers nicht beirren lassen.
    »Lady Melbourne«, sagte sie langsam, »mag sein, was sie will, doch niemals eine Lügnerin und Schwätzerin. Und es ist bekannt, daß dein Bruder ihr gegenüber die entsetzlichsten Behauptungen über sein Verhältnis zu dir aufgestellt hat.«
    »Wie kann das bekannt sein«, konterte Augusta, »wenn Lady Melbourne doch für ihre Diskretion berühmt ist? Hast du sie etwas Derartiges sagen hören oder gehört, daß sie es zu anderen gesagt hat?«
    »Nein«, gab Mrs. Villiers widerwillig zu. Doch die unverkennbaren Zeichen der Erschöpfung bei Augusta gaben ihr neuen Mut, und sie fuhrt fort: »Aber glaubst du wirklich, daß er Lady Melbourne nichts dieser Art geschrieben hat? Sei ehrlich, Augusta!« Augusta schwieg. Ihr braunes Haar fiel seitlich herab und verdeckte fast ihr Profil. Mrs. Villiers ergriff ihre Hand.
    »Und wenn auch Caroline Lamb eine Lügnerin ist, was ich gar nicht bestreiten will… sie wiederholte aber neben furchtbar theatralischen Äußerungen, die wirklich von ihr stammen dürften, auch Sätze und Zeichen, die ganz nach dir klingen.« Sie fühlte, wie Augusta bei dem Wort Zeichen aufmerkte. »Denke an deine Seele, Augusta! Denk an die furchtbare Sünde! Doch selbst wenn alles zutrifft, was man sich erzählt, so glaube ich dennoch, daß er schuldiger ist als du, denn er prahlt auch noch damit! Was für ein Mensch ist das, der dein Vertrauen mißbraucht und dich verrät? Ich selbst«, und diesmal konnte sie auf ein reales Ereignis zurückgreifen, »habe ihn im vergangenen Jahr die Geschmacklosigkeit äußern hören, daß nach den Lehren der Kirche Kain und Abel keine andere Wahl gehabt hätten, als ihre Schwestern zu heiraten, und daß es heuchlerisch sei, heute zu verdammen, was man in der Vergangenheit guthieß!« Augusta wandte sich ab. »Laß mich allein, Thelma«, sagte sie tonlos.
    »Laß mich bitte allein.«
    Byron selbst spielte Annabella unbeabsichtigt ein neues Druckmittel in die Hand. Er brachte sein erstes Drama heraus,
    »Manfred«, eher ein dramatisches Gedicht mit mehreren Stimmen als ein wirkliches Bühnenstück. Es stellte einen Höhepunkt an lyrischer Ausdrucksmöglichkeit dar, wurde in Deutschland vom alten Goethe auf das höchste bewundert - er versuchte sogar, es zu übersetzen - und überall in Europa diskutiert.
    Die Titelfigur Manfred war der Inbegriff des Byronschen Helden, ein Magier wie Faust, zerfressen von Reue und Trauer, von Dämonen gejagt, die er selbst beschworen hatte, mächtig über alle Geister - und nur auf der Suche nach dem Vergessen seiner eigenen Identität.
    Das alles interessierte die englische Öffentlichkeit jedoch wesentlich weniger als die Tatsache, daß Manfred, der um seine tote Geliebte trauert, mit dieser offensichtlich in einer verbote-nen Beziehung stand. Argwohn erregte bereits die Beschreibung der verlorenen Astarte:
     
    Sie glich
    In allen ihren Zügen mir; ihr Aug,
    Ihr Haar, ihr Antlitz, ja der Ton der Stimme
    War - wie die Welt erzählte - wie bei mir,
    Nur überall gemildert und verschönt…
    Doch hegte sie auch sanftre Eigenschaften:
    Das Mitleid und das

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