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Wahnsinn, der das Herz zerfrisst

Wahnsinn, der das Herz zerfrisst

Titel: Wahnsinn, der das Herz zerfrisst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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der Seufzerbrücke aufzuzählen.« Ein bewährtes Abschreckungsmittel lieferte ihm seine eigene Lebensweise.
     
    Die jungen, gutaussehenden Venezianerinnen gingen bei ihm ein und aus, und wenn er Besuch von englischen Konsulen oder ähnlichen Würdenträgern bekam, machte er sich das Vergnügen, zwei seiner Donnas zur gleichen Zeit zu bestellen.
    Die unvermeidlichen Eifersuchtsszenen dieser Damen, die zwar allesamt verheiratet waren, eine außereheliche Rivalin aber nicht dulden wollten, brachten unerwünschte Besucher sehr bald dazu, wieder zu gehen. Die italienische Einstellung zum Ehebruch bildete überhaupt eine Quelle ständigen Amüsements für ihn. Anders als in England war es hier fast verpönt, nicht in aller Öffentlichkeit einen Liebhaber beziehungsweise eine Mätresse zu haben. Doch wehe dem Geliebten, der sich nach noch weiteren Zerstreuungen umsah!
    »Manfred« und der Abschluß von »Childe Harold« hatten alle Zwänge in ihm gelöst: er hatte sich selbst vom Byronschen Helden befreit. In seiner nächsten Verserzählung, »Beppo«, war nichts mehr von seinen düsteren Stimmungen zu finden. Es war eine kleine venezianische Karnevalsgeschichte, mehr nicht, eine Verwechslungskomödie zwischen Ehemann und Liebhaber, die in einem friedlichen Leben zu dritt endete und viele Seitenhiebe in Richtung England beinhaltete. Byron erkannte, daß er die dämonischen Helden seiner früheren Werke eigentlich nicht länger brauchte. Sie nahmen sich allesamt viel zu ernst, und das war im heiteren Italien unmöglich.
    In dieser Ansicht wurde er von Shelley bestätigt, der ihn in Venedig besuchte. Dieser brachte auch neueste Nachrichten aus England mit. Claire hatte eine Tochter zur Welt gebracht, die sie zunächst Alba (nach Albé) nennen wollte, Byron entschied sich für Allegra. Warum, konnte er nicht sagen, der Name gefiel ihm einfach besser.
    Shelley war im Kampf um eine gesellschaftliche Rehabilitierung in England endgültig der Rufmordkampagne von Marys Vater William Godwin unterlegen und mußte auch auf jeden Kontakt zu seinen Kindern verzichten. Alle Vatergefühle übertrug er nun auf Claires Tochter. Genaugenommen war Allegra mehr in der Obhut von Shelley und Mary, die das kleine Mädchen ebenfalls liebgewann, als von ihrer eigenen Mutter. Als die Situation in England unerträglich wurde, siedelten Shelley, Mary und Claire mit dem einjährigen Kind ein weiteres Mal auf den Kontinent um. Was lag näher, als Italien zu wählen?
    Aus Marys Schauergeschichte, mit der sie am Genfer See begonnen hatte, war ein respektabler Roman geworden. »Frankenstein, oder Der moderne Prometheus« hatte sogar einen englischen Verleger gefunden. Nun wünschte sich Mary eigentlich nur Ruhe und Einsamkeit. Ihre Stiefschwester Claire hatte sich seit ihrer ersten Flucht mit Shelley an sie gehängt und dem jungen Paar keine ruhige Minute gelassen. Doch gerade jetzt konnten sie Claire mit ihrem Kind nicht im Stich lassen.
    Shelley, der seine Familie zunächst in Pisa untergebracht hatte, besuchte Byron in Venedig und brachte ihm bei dieser Gelegenheit seine Tochter Allegra mit. Jeder andere hätte den Empfang und den Lebensstil des Gastgebers als extravagant empfunden. »Passen Sie auf, daß Ihnen die Ziege nicht zwischen die Beine läuft, Shiloh«, sagte Byron, »und gehen Sie nicht zu nahe an die Vorhänge, der Affe springt Ihnen sonst an den Hals. Ich nehme doch an, Sie kommen mit Gepäck?« Aber Percy Shelley war von Natur aus ein träumerischer Idealist, der einmal philosophierend über den Rand einer Klippe gewandert wäre, hätte man ihn nicht festgehalten und aus seinem Traum geweckt.
    Shelley übergab Allegra ihrem Vater. Er und Mary zögern in ein Haus, daß Byron in Este für sie gemietet hatte. Shelley blieb jedoch lange genug in Venedig, um ernste Zweifel zu bekommen ob Byrons chaotischer Haushalt für ein Kind geeignet war.
    Byron stand erst um zwei Uhr nachmittags auf und blieb bis zum frühen Morgen wach. Die Geliebten reichten sich die Klinke. Als Shelley unbeabsichtigt eine Eifersuchtsszene miterlebte, stellte er die These auf, das heftige Temperament der Italienerinnen hinge mit ihrer sozialen Unterdrückung zusammen.
     
    »Aber ich liebe diese Art Temperament«, erwiderte Byron todernst, »ich hätte Medea jeder lebenden Frau vorgezogen.« Shelley lachte. »Warum haben Sie sich dann nicht an Ihre Gattin gehalten?«
    »Oh, sie ist keine Medea«, sagte Byron wegwerfend, »nur eine arme, rührselige Klytämnestra, die

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