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Wahnsinn, der das Herz zerfrisst

Wahnsinn, der das Herz zerfrisst

Titel: Wahnsinn, der das Herz zerfrisst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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Lächeln und die Träne
    Und Zärtlichkeit - die ich nur für sie fühlte -
    Und Demut endlich, die ich nie besaß.
     
     
    Die Fehler hatte sie mit mir gemein,
    Doch ihre Tugenden gehörten ihr.
    Ich liebte sie und - habe sie zerstört.
     
    Das allein hätte schon genügt. Es kam aber noch besser. Manfred gelingt es tatsächlich, Astartes Geist zu beschwören. Ihre Erscheinung schweigt jedoch, und er fleht sie an:
     
    Astarte, höre mich! geliebtes Weib,
    gib Antwort mir! Ich hab so viel gelitten,
    Ich leide noch so viel! Sieh mich, nur an!
    Das Grab hat dich nicht mehr verändern können.
    Als ich verändert bin um deinetwillen.
    Du liebtest mich zu viel, wie ich auch dich,
    Wir waren nicht gemacht, uns so zu quälen,
    Obschon’s die schwerste Sünde war, zu lieben, Wie wir geliebt…
     
    Das Urteil war gefällt: Manfred war Lord Byron, Astarte seine Schwester, die Geister seine Dichtungsbegabung und das ganze Stück eine poetische Autobiographie! Daß das Werk auch Stellen enthielt, die alle diese Vermutungen lügen hießen, spielte für niemanden eine Rolle. Daß Manfred Astartes Tod verursacht hatte, war irrelevant. Daß Byron vielleicht eigene Gefühle, aber keine eigenen Erlebnisse verarbeitete, interessierte niemanden.
    So wurde der Sommer 1817, in dem sie für die Hochzeit der Prinzessin Mary nach London kommen mußte, für Augusta die alptraumhafte Wiederholung des Vorjahrs.
    Das Getuschel, die Ächtungen, alles war wieder da. Und das Werk, das an diesem Wiederaufleben des Skandals schuld war, stammte diesmal nicht von Caroline Lamb. Wie hatte Byron doch in einem seiner Gedichte an seine Schwester geschrieben?
     
    Ich war, vertraut mit dem, was mich bedroht
    Der eignen Leiden sorgsamer Pilot.
     
    Nur saß er mittlerweile sicher in Italien und dachte sich nichts dabei, auch in die Fortsetzung von »Childe Harold« Grüße an seine Schwester einzubauen, von seiner Sehnsucht nach ihr zu sprechen, und vergaß vollkommen, daß all diese Liebeserklärungen von jedem Leser verstanden wurden.
     
    Annabella sah den Moment gekommen, Augusta ein Wiedersehen vorzuschlagen.
    Augusta kam, nervös und erschöpft, nachdem sie ein wochenlanges Spießrutenlaufen in der Londoner Gesellschaft hinter sich hatte. Annabella war ruhig und gefestigt. Sie ahnte nicht, daß schon ihr Anblick Augusta erschreckte. Lady Byron hatte ihre rührende Schutzbedürftigkeit, die sie in Six Mile Bottom, im Haus am Picadilly, in jedem von Annabellas Briefen während ihrer kurzen Ehe gespürt hatte, völlig überwunden. Ihr Blick zeigte keinerlei Regung. Gleich zu Anfang bat sie Augusta, sie nicht mehr Bell zu nennen. Nicht mehr Bell. Bell schien eine andere Person gewesen zu sein. Annabella.
    Lady Byron kam sehr schnell mit dem heraus, was sie wollte.
    »Es würde dein Gewissen erleichtern und deine Seele retten, Augusta.« Ihre Worte hatten einen höchst unerwarteten Effekt: die verschüchterte Augusta fand zu ihrem alten Selbst zurück.
    Sie lachte. »Liebste Annabella, ich bin noch nicht darauf vorbereitet, in den Himmel einzugehen.« Annabella schwankte, ob sie dies nicht vielleicht doch für ein Reuebekenntnis halten sollte, entschied sich aber dann dagegen. Für einen Moment wußte sie nicht, was sie tun sollte. Augusta hatte einem ganzen Jahr voller Bußpredigten widerstanden.
    Annabella wog alle ihre Kenntnisse von Augustas Charakter gegeneinander ab, blickte auf Byrons Schwester, die schon wieder ein Kind erwartete, und erkannte mit einem Mal, wie sie das Gewünschte erreichen konnte. Nicht durch Vorhaltungen, o nein!
    Annabella erlitt einen wohlkalkulierten Zusammenbruch. Sie spielte ihr früheres Ich, brach in Tränen aus und klammerte sich an Augusta. »Bitte, hilf mir, Augusta, hilf mir!« Augusta spürte, wie sich Annabellas Körper verkrampfte. »In meinem Kopf schreit es Ja, Nein, Ja, Nein - ich halte das nicht mehr aus!« Der Sommer, »Manfred«, ihre Schwangerschaft und Annabellas Rückverwandlung in das Mädchen, das sie immer als ihre Schwester betrachtet hatte und das sie beschützen mußte, taten ihre Wirkung. Augusta seufzte. »Wenn es dir so viel bedeutet - gut, Bell, ich war vor deiner Heirat die Geliebte meines Bruders.«
    Am nächsten Tag teilte ihr Annabella mit schneeweißem Gesicht mit, sie habe ihretwegen eine schlaflose Nacht verbracht und könne sie nie wiedersehen.
     
    Mailand
     
    Meine liebste Augusta
    Ich bin in Kirchen, Theatern, Bibliotheken und Gemäldegalerien gewesen. Der Dom ist prächtig, das

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