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Wahnsinns Liebe

Wahnsinns Liebe

Titel: Wahnsinns Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lea Singer
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fragt sich auch, ob Mahler ihrem Mann wirklich etwas Gutes getan hat. Der Operndirektor hat Schönberg gelobt, empfohlen und ihm ermöglicht, seine Werke öffentlich aufzuführen. Aber das heißt auch: ermöglicht, Skandale loszutreten, die in Wien kaum ihresgleichen haben. Sie selbst hat sich an diese Skandale gewöhnt. Eine Hornhaut entwickelt gegen Anfeindungen, Beleidigungen und tätliche Übergriffe, die ihrem Mann gelten, aber sie mittreffen.
    Gut, einige Freunde hatten sie davor gewarnt, sich mit Schönberg einzulassen. Ihr eigener Bruder am deutlichsten. »Er ist ein Genie«, hatte Alexander gesagt. »Einer, an den sich noch alle erinnern, wenn ich längst vergessen bin.« Dummerweise hatte er das damals in Payerbach gesagt, als sie sich einbildete, sich in genau den Mann verliebt zu haben. Hier in Wien hätte sie bei Genieverdacht sofort den Rückzug angetreten. Aber Payerbach an der Rax ist das, was Wiener Stadtbewohner eine Idylle nennen, also ein Ort, wo man sich beim Langweilen gesund und gut fühlt.
    Es duftete nach Heu und durchsonntem Holz, sie trug ein neues Kleid, dunkelblau mit weißen Tupfen. Sommer macht die Seele gefügig und den Körper auch. Es ist viel leichter, sich im Sommer hinzugeben, sogar einfach mal herzugeben, als in der kalten Zeit. Und so kam es ihr fast natürlich vor, in einer schwülen Nacht, |16| die nicht abkühlen wollte, alle Bedenken und sich selbst zu vergessen, weil der ganze Körper ohnehin schon feucht und warm war. Außerdem machte diese Harmlosigkeit des Ortes sie leichtfertig. Die friedlichen, satten Menschen dort, die nichts tun als essen, trinken, schlafen und mit kleinen Schritten spazierengehen, kitzelten bei ihr die Lust wach, mittendrin alles zu tun, was sie skandalös fänden. Vielleicht reizte es sie auch, daß er besessen war von dem, woran er glaubte. Seine bedingungslose Hingabe an die Sache forderte sie heraus, die Versucherin zu spielen.
    Wenn überall das träge Gelächter aus den Gartenwirtschaften zu hören war, wenn sich die biermüde gute Laune durch die Ortschaft ergoß, Teller klapperten, Bierkrüge mit dumpfem Klang aneinandergestoßen wurden, saß er, wie jetzt eben, an seinem Schreibtisch im Pensionszimmer und schrieb, neben sich ein Glas Veltliner mit Wasser. Ab und zu klatschte er eine Mücke auf seinem damals schon halbkahlen Kopf tot, aber sonst nahm er nichts wahr. Zwei Lieder hatte er schon komponiert, für eines hatte er nicht einmal acht Stunden gebraucht.
    Es wurde gerade erst dunkel. Sie saß mit ihrem Bruder auf dem Holzbalkon, umhüllt von dieser Mischung aus Kuhstallgeruch und Tannen- und Wiesenduft, der ihr jeden Drang nahm, diesen Ort jemals wieder zu verlassen. Ihre Glieder wurden schwer und trotzdem lüstern.
    »Er vertont einen Text von Dehmel«, sagte ihr Bruder. Sie kicherte.
    »Warum lachst du?« fragte er. »Ich meine, ich bin ja froh, wenn du dich freust und nicht in Tränen aufgehst beim Gedanken an deinen vergötterten Poeten …«
    |17| Sie kicherte noch heftiger. Denn dieser sogenannte Verehrer, der seit Jahren schon zögerte, eine Entscheidung zu treffen, sie zu wollen, sie endlich zu greifen und auszuziehen, jener Held der Melancholie mit den Händen aus Porzellan und dem Gemüt aus Glas: hier kam er ihr auf einmal nur lächerlich vor. Wie ein Huhn vor dem Überqueren der Straße, das vortrippelte, zurückfloh, Liebeschwüre gackerte, wieder nach vorn huschte. Schönberg dagegen mit seinen wulstigen Lippen, der immer nach Mann roch, der sich in Diskussionen erhitzte und das dann mit Wein und Bier und Schnaps zu löschen versuchte, der mit Heißhunger seinen Lungenbraten aß und den ofenwarmen Topfenstrudel vom Blech fingerte – der paßte besser hierher.
    Es war sicher bereits zehn, als er zu den beiden trat, einen Stapel Papier in der Hand, eine Zigarette im Mundwinkel. Die Schuhe waren offen, die breite Krawatte hing wie ein Lumpen vor dem durchgeschwitzten Hemd. Er legte die Notenblätter auf dem wackeligen Balkontisch ab, direkt vor ihrem Bruder, seinem Lehrer, der nur zwei Jahre älter war. Aber, wie Schönberg spürte, zwei Jahrzehnte abgeklärter. Ihr Bruder steckte sein Gesicht, dieses Gesicht eines traurigen Kakadus, der sich jedoch über die Menschen lustig macht, sofort in die Blätter. Sein Schüler und Mathilde schwiegen. Schönberg zündete sich eine neue Zigarette an. Er paffte in die Nacht hinaus, aber die roch stärker.
    »Ich habe es deiner Schwester gewidmet«, sprach er in die Rauchwolken. »Weil

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