Wahnsinns Liebe
sagt Loos. »Hast du was von der Lina gehört?«
»Es geht ihr gut. An Verehrern fehlt es nicht. Aber uns wäre es halt recht, wenn sie heiraten würde. Einen Soliden«, sagt er und grinst den ehemaligen Schwiegersohn an. »Der unsre Enkelkinder dann selber füttern könnte.« Obertimpfler geht davon, ohne die Füße vom Boden zu heben.
»Daran, daß sie abhauen, kann man leider auch durch eine sichere Unfruchtbarkeit nichts ändern«, sagt Friedell zufrieden. »Und eine anständige Frau zu finden ist schwer. Da ist eine verwelkte Schwester wie meine eine sicherere Sache.«
Altenberg hat seine Bohnen bekommen und spuckt |119| gewissenhaft jede der dicken Schalen auf die Untertasse seines kleinen Braunen. »Ich mute mir nichts Ungenießbares zu«, sagt er, als Obertimpfler auf die abgesonderten Reste schaut. »Das ist eine Frage der inneren Hygiene.«
»Sie werden nie eine Frau finden, verehrter Herr von Altenberg«, sagt Obertimpfler, als er leere Teller und Gläser abräumt.
Die wirklich verirrten Männer, erklärt Altenberg und spuckt weiter, suchten ja eine Anständige. Dabei seien die sogenannten Anständigen die Schlimmsten. »Diese Luder haben ewig einen brummenden summenden Kitzler. Das sind die wirklichen ewigen Huren.«
Die Bohnen sind aufgegessen, Altenberg reinigt ausgiebig Bart und Zahnzwischenräume.
»Am besten hat es noch einer wie unser Schönberg«, sagt Friedell unvermittelt, dem der Verzehr des Zwiebelfleischs die Diskussionsteilnahme für eine Weile verboten hat.
»Eine, die gescheit genug ist, um nicht die Gescheitere zu sein. Die traurig genug ist, um leise zu sein, aber zu wenig Kraft hat für eine Selbstmordkandidatin«, deklamiert Altenberg.
»Und zu wenig Fantasie zum Fremdgehen«, sagt Friedell.
»Na«, sagt Altenberg.
Alle drei stehen auf und verlassen, ohne zu zahlen, die Casa Piccola.
Der Kaffeesieder schaut ihnen nach, wie sie die schneematschbedeckte Mariahilfer Straße hinuntergehen. Es geht ihm besser. Oder doch nicht?
An der nächsten Ecke seilt Friedell sich ab. Er hat das Zwiebelfleisch zu hastig in sich hineingestopft. »Mich |120| bedrängt die Arbeit«, sagt er. »Ich spüre den Druck richtig.«
Loos und Altenberg gehen langsam weiter. Im Café Museum wartet Schönberg auf sie. Mit dem nächsten Braunen bekommt er die Geschichte von Obertimpflers Ältester aufgetischt. Sie scheint ihn wenig zu berühren. »Ich habe ja nichts dagegen, wenn Frauen sich plötzlich einbilden, sie müßten eine Leidenschaft spüren und ausleben«, sagt er. »Nur sollen sie es bitte nicht zu einer Überzeugung machen und in Entschlüsse umsetzen, die nur auf dem Theater gut wirken.« Dann wendet er sich dem Billard zu.
Der Oberkellner des Imperial dreht den Schlüssel um und schiebt den Filzvorhang zur Seite. Draußen ist es noch dunkel, und der Schnee ist bereits zu dreckig, um den Februarmorgen aufzuhellen. Doch er steht schon da, klein und ausgemergelt, und tritt von einem Bein aufs andere. Kaum ist die Tür offen, ist er drin, reißt sich vom Zeitungsständer alles, was dort in hölzernen Spannern hängt. Der Oberkellner bringt unaufgefordert die fast weiße Melange, die jeder andere Kaffeehausgast zurückgehen ließe wegen fehlenden Kaffees, einen Apfel und eine Scheibe Grahambrot – etwas anderes, das ist bekannt, verträgt der empfindliche Darm des Operndirektors nicht. Sein übermächtiger Kopf ist bereits in einem der Wiener Blätter verschwunden. Was sucht er nur? Er hatte doch die letzten Tage keinen Auftritt. Sucht er etwa bei den Todesanzeigen?
|121| Da kommt mit blinden Brillengläsern der Kakadu zur Tür herein, sein Freund Zemlinsky. Der trinkt wenigstens den Kaffee schwarz, ißt ein Herrengulyas und raucht.
»Lebt er noch?« fragt Mahler.
»Kommt drauf an, was man unter leben versteht«, sagt Zemlinsky. »Den ersten Schlag vor drei Tagen hat er noch halbwegs überstanden. Aber der zweite gestern, der war zu schlimm. Der hat ihn gefällt. Er liegt starr auf dem Bett und erklärt, er wolle sich erschießen.«
»Und?«
»Ja, ab und zu wankt er an den Schreibtisch, um schweißnaß irgendwelche Briefe zu schreiben und dröhnt sich zu mit Codein und Likören.«
Mahler hält das Wiener Extrablatt, zu einer Rolle gedreht, in der Hand. »Kann man was tun für ihn?«
»Schreiben« sagt Zemlinsky in seine Rauchwolken hinein, »schreiben. An ihn selber, an Leute mit Einfluß, an …«
»Habe ich schon«, sagt Mahler. »Ich habe an Richard Strauss geschrieben, daß ich
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