Wahnsinns Liebe
liebe?«
Beide frösteln. Er streckt seine Hand nach ihr aus. Als hätten sie einen langen Weg vor sich, gehen sie Hand in Hand langsam zu dem Bett am anderen Ende des Zimmers. Es ist ein schweres kastiges Gebilde, denn Gerstl hat die gedrehten Säulen und geschnitzten Giebel einfach abgesägt. Daß es einem Sarg mehr ähnelt als einem Liebeslager, sehen die Liebenden nicht. Mathilde legt sich hin und schaut zur Decke, unverwandt.
»Könnte es sein, daß du damit deinen Vater besiegst? Könnte es sein, daß du mich nur liebst, um ihn zu unterwerfen? Damit dir gehört, was ihm gehören sollte?«
Gerstl sitzt am Bettrand. Er zittert.
»… könnte es sein«, spricht Mathilde weiter an die Decke, »daß ich nur das Opfer bin? Seins und deins? Weil du dir nicht auf meinem Rücken, sondern auf meinem Bauch deinen Traum erfüllst?«
»Meinen Traum?« Gerstl friert.
»… und als Sohn dem Vater die Frau wegnimmst?«
Er schließt die Augen. »Wir brauchen doch nicht Freud zu bemühen. Er ist nicht mein Vater. Ich bin nicht sein Sohn. Und du bist weder meine Mutter …«
Sie rührt sich nicht, schaut nur weiterhin zur Decke, als wäre dort die Wahrheit zu erkennen.
|128| »… noch seine Frau«, sagt er. Da zuckt sie zusammen.
Gerstl ist aufgestanden, wieder hält er den Brief in der Hand. »Hör dir das an. Ich bitte dich. Höre es an mit offenen Ohren. ›wegen einer Frau sollten doch zwei wie wir uns nicht entzweien.«
Mathilde schließt die Lider. »Zwei wie wir«, wiederholt sie fast tonlos, »sollten sich doch wegen einer Frau nicht entzweien.«
Sie wendet ihm das Gesicht zu und starrt ihn an, als verstünde sie nun schlagartig, wie wenig sie ihrem Mann bedeutet – ein gewohnter Besitz, nicht mehr. »Du hast recht. Wie konnte ich taub sein. Ich ausgerechnet taub.«
Zum ersten Mal in ihrem Dasein greift Mathilde, bevor ein Mann sie berührt, mit ihrer kleinen geschickten Hand ihm ins Zentrum seiner Lust. Und er spürt, daß sie noch nie so hungrig war und ihre Feuchtigkeit noch nie so heiß wie dieses Mal.
»Du darfst nicht heim, es ist gefährlich«, sagt er danach matt.
»Unsinn«, sagt sie, steht auf und zieht sich zügig an. »Ich bin vielleicht nur seine Krücke. Aber keiner verbrennt seine Krücken in dem Moment, wo er auf den eignen Beinen nicht gehen kann.«
Es geht ihm beinahe gut. Er ist schon dabei, wie die beiden anderen Männer am Tisch, dem süßen Gift zu erliegen. Die Glieder werden schwer, die Zunge wird träge, der Kopf müde. Sich jetzt anlehnen |129| wie früher an den weichen Oberarm der Mutter. Einfach anlehnen und einatmen und ausatmen und den Arm riechen.
Er dringt aus der Küche hier heraus ins Freie, dieser lähmend süße Geruch, der den der Gartenkräuter und der frühen Blüten überdeckt. Vanille, Hefe, Butter und Zucker, der langsam karamelisiert ist.
Gerstl spürt, wie langsam Zeit vergehen kann. Und wie ihr Fluß hinwegströmt über das Schartige in ihm, so als gäbe es das gar nicht. In seinem Kopf kullert wie ein mit Watte gefüllter Ball der Name seines Gastgebers, sonst nichts. Moll. Moll. Moll. Dieses O, samtig azurblau, ins Violette changierend, eingebettet in das warme Grünbraun des M und das tiefe Braunrot der beiden Ls – wie angenehm. Hieße ich so, wäre ich sicher auch ein friedlicher, freundlicher, dicker Mann, sagt sich Gerstl. Einer, den alle mögen. Wie sich das wohl anfühlt – von allen gemocht zu werden?
Die Runde am Verandatisch schweigt in träger Erwartung.
»Gleich sind sie fertig«, ruft eine Frauenstimme.
Gerstl zuckt zusammen. Carl Moll reagiert nicht. In seinen wasserhellen Augen spiegelt sich nur der Gleichmut des Nachmittaghimmels.
»Habt ihr gehört?« Diese Stimme. Als hätte er einen Schluck Säure genommen, fährt es durch Gerstls Mundhöhle die Speiseröhre hinunter in den Magen. Er schaut den Mann an, dessen Blick immer mehr nach innen gerichtet zu sein scheint als nach außen. Zieht er sich dieser Frau wegen lieber in sich zurück? Alma, seine Stieftochter, schmäht ihn als Schlappschwanz. Aber immerhin hat dieser Schlappschwanz es gewagt, van Gogh auszustellen in der Galerie |130| Miethke, und hat, wie zu erwarten war, nicht ein Bild verkauft.
Gerstl versucht, Mathilde zu hören, wie sie gestern noch gesagt hat: »Der Moll ist ein Guter. Und warum die Frau Mahler ihren Stiefvater als Versager hinstellt, das weiß jeder. Sie kann’s ihm nicht vergessen, daß er ihr die Affäre mit seinem viel zu alten Freund Klimt vermasselt
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