Wahnsinns Liebe
Körpergeruch nicht habe leiden können. Vor Mahlers Augen hat sie irgendwelche männlichen Gäste derart aufgereizt, daß die schier den Verstand verloren haben. Und war dabei sichtbar erblüht. »Auch, lieber Gustav, auch«, sagt Zemlinsky und schiebt sich ein letztes Stück vom kaltgewordenen Gulyas in den Mund. »Aber die Sache ist halt die: Wir wollen manches lieber nicht so genau wissen, obwohl wir es eigentlich schon genau wissen.«
Dann steht er auf und macht sich auf den Weg in die Liechtensteinstraße. Er will nicht erfahren, was Webern alles über Mathilde und diesen Verrückten gehört hat. Schließlich ist sie seine Schwester. Ihn beunruhigt nur, was er Webern beim Verlassen des Imperial in seinem Rücken hat sagen hören: »Wenn einer aus unserem Kreis dem Meister was antut, dann machen wir ihn fertig.« Oder hat Webern das so nicht gesagt? Und er hat sich das nur eingebildet?
|125| Er ist mitten in der Arbeit und splitternackt. Es geht nicht anders, der Raum ist völlig überheizt. Ihretwegen, denn sie friert so schnell. Und sitzt nun reglos, ebenfalls nackt, auf einem Stuhl, der zumindest als sie sich darauf setzte, noch so kalt war wie alles hier. Wer ihn von hinten sieht, ist sicher: Der ist gerade dabei, jemandem harte Schläge zu verpassen. Auch seine Stimme klingt nach unterdrückter Wut. »So, feige nennst du das. Gefallsüchtig. Anbiedernd. Na wunderbar.«
Gerstls Körper ist blaß, nur sein Gesicht ist so rot wie sein großes Geschlecht.
Er peitscht die Temperafarbe auf die Leinwand, als rächte er sich an ihr für etwas, was sie ihm angetan hat.
Doch Mathilde sitzt ruhig da. »Ich dachte, du verträgst das«, sagt sie. »Und wenn nicht, dann geh ich eben.«
Er reagiert nicht.
»Ich kenne nicht viele Männer«, sagt sie, fast ohne die Lippen zu bewegen, »aber eins kenne ich zu Genüge: wie es sich lebt mit einem Mann, der keine Kritik verträgt. Da bleibt einem nur anhimmeln oder sich zurückziehen.«
Gerstl arbeitet wortlos weiter. Den langen Schenkeln, die kaum einer bei dieser kleinen Frau vermutet, soll anzusehen sein, daß sie noch schwer sind von der Liebe und noch feucht. Und auch die Arme, ebenfalls ungewöhnlich lang für ihre Statur, sollen so wirken, wie sie sind: träge, wohlig müde. Dann drückt er den schwarzen Pinsel an der Scham aus. Das Schamhaar als Schlußpunkt. »Fertig«, sagt er gereizt. Sie steht auf, tritt hinter die Leinwand zu ihm. »Und das Gesicht?«
|126| Gerstl lächelt nach unten. »Wenn er es eh weiß, sollen wir ihm dann auch noch Beweismaterial anliefern?«
Sie schaut sich selbst an. »Er ahnt nur, er weiß nicht.«
»Ach, und warum dann dieser Brief?« Gerstl geht mit drei großen Schritten zu der Kommode an der Wand, nimmt das Blatt Papier von dort und liest: »Zwei wie wir sollten sich wegen einer Frau nicht entzweien.« Er schlägt mit dem Handrücken drauf. »Hörst du diese üble Mischung aus Häme und Verächtlichkeit? Nur wegen einer Frau! Zwei wie wir! Widerlich.«
Sie steht noch immer nackt vor dem Bild ihres Körpers. »Das ist gut«, sagt sie. »Das bist endlich wieder du. Dieses Getüpfel in letzter Zeit – ich weiß gar nicht, was dich dazu verleitet hat, das war alles so schrecklich nett. Hast du in Arnolds Kreisen imponieren wollen, mit diesem Stil, wie er zur Zeit in Paris Mode ist?«
Gerstl schweigt. Sie legt ihre Hand auf seinen Arm. »Ich versteh das gut. Daß du zeigen wolltest: Ich kann auch Bilder malen, die gekauft werden und nicht hinter deinem Schrank stehenbleiben. Nur mich berühren die überhaupt nicht.«
Er sieht sie groß an, begeistert, so, als schmeichelte sie ihm. »Weiter, weiter.«
»Weiter? Da gibt es nichts weiter zu sagen«, sagt Mathilde. »Ich meine nur: Ich liebe die Bilder hinterm Schrank. Und wenn ich die einzige sein sollte, die sieht, was sie taugen …«
Wie in Trance sagt Gerstl: »Kunst kommt nicht von Können, sondern von Müssen.« Keiner, der diesen Satz von dem gehört hat, den fast alle um ihn her den Meister nennen, kann ihn vergessen.
Mathilde starrt Gerstl an. Auf einmal schämt sie sich |127| ihrer Nacktheit. Er sieht es ihr an und reicht ihr ein weißes Laken. Darin hineingewickelt, steht sie vor ihm wie eine gedrungene bäuerliche Göttin. »Wie kannst du mich lieben, wo du ihn verehrst?«
Auch Gerstl schlingt sich nun einen unbenutzten Lappen, den er zum Malen zurechtgerissen hat, um die Lenden. »Du könntest genausogut fragen: Wie kann ich ihn noch verehren, wo ich dich
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