Wahr
umdrehe, lächelt er mir zu, als würde ich ihn in einen Vergnügungspark lotsen und er längst wissen, dass er kein einziges Karussell betreten wird. Wir betreten den Saal, ich eile auf das Bild zu. Ich schweige eine Weile, möchte still das Motiv genießen. Während meines ersten Herbstes in Helsinki habe ich dieses Gemälde öfter besucht; immer dann, wenn mir mein Heimweh zu schaffen machte. Stundenlang habe ich hier gestanden.
Auf die spiegelnde Oberfläche des Sees hat Gallen-Kallela einen zweiten Wald gemalt, die Umrisse der Bäume, die Kuppen der Anhöhen. Der Himmel ist wie verwaschen: das helle, bleiche Licht des Sommers. Die Wolken gießen Milch über den Bäumen aus, die untergehende Sonne spuckt Flammen in ihre Wipfel. Im mittleren Bild des Triptychons flieht das Mädchen Aino vor einem älteren Mann, die bleiche Haut ihrer Schenkel schimmert im Wasser, verschmilzt mit ihm, als wäre sie schon immer mit Fischen verwandt.
»Genau so«, sage ich, ohne ihn anzusehen, denn ich sehe das Bild an.
Aus welchem Grund auch immer hebt der Mann seine Hand, berührt leicht meinen Rücken.
»Ich würde kentern«, sagt er und zeigt auf das kippelnde Boot des Alten.
»Du würdest untergehen!«
»Ich würde mir ein Gemach bei den Fischen einrichten, bei den Barschen und Brassen«, sagt er.
»Und mein alter Dorfnachbar würde dich mit seiner Reuse fangen und wieder zurück ins Wasser werfen, wertlose Fische nehme ich nicht, diesen Fang kann ich vergessen.«
»Wenn ich dich besuche, bringst du mir dann bei, wie man mit einer Reuse fischt?«
»Ja.«
Ich wende ihm mein Gesicht zu und sehe ihn an. Er hat zu viel gesagt, er weiß es. Aber er bereut seine Worte nicht.
»Ich kann natürlich fischen«, sagt er schnell. »Aber mit Kühen kenne ich mich nicht aus, da würdest du mich besiegen.«
»Ach so, ist das hier eine Art Wettstreit? Dann musst du mir erst beweisen, dass du wirklich fischen kannst. Dass du den Umgang mit Netzen und Reusen beherrschst.«
»Ich kann dich mit nach Tammilehto nehmen. Im August. Da beweise ich dir, dass ich es kann.«
»Abgemacht.«
Die dicken Wände des Museums weichen zurück. Einen kurzen Moment sehe ich nur die gewaltige Landschaft des Bildes. Ich weiß nicht, wie lange ich dort stehe; irgendwann berührt der Mann meine Schulter.
»Denkst du immer noch, dass diese Bilder langweilig sind?«, frage ich ihn.
»Nein. Nicht mehr.«
Ich werfe einen Blick auf die Uhr, es ist viel zu spät. Wir rennen die Treppe hinunter und treten ins Freie, wo die Welt die Ruhe des Museums überspült.
An der Kreuzung reicht er mir eine kleine Papierrolle. Die Geste ist alltäglich, bescheiden, als würde er mir Brot und Messer reichen. Es ist das grobe Papier seines Skizzenblocks.
»Hier«, sagt er.
Da ist es wieder, das Lächeln des Dreizehnjährigen, der seiner Nachbarin Loviisa begegnet.
»Was ist das?«
Ich will die Rolle öffnen, aber er bremst mich.
»Später«, sagt er.
»Wieso?«
»Nur so.«
Routiniert kramt er eine Zigarette aus seiner Brusttasche, zündet sie an. Er bläst den Rauch zur Seite, tritt zwei Schritte zurück und hebt zum Abschied die Hand.
Als er hinter der Ecke verschwunden ist, öffne ich die Skizzenrolle. Er hat mich von schräg hinten gemalt. Meine Stupsnase, meinen Wangenknochen und den Schwung meiner Oberlippe. Ich stehe an der Straßenkreuzung. Ich lasse die Autos an mir vorüberfahren. Die Warnzeichen umgeben mich wie flatternde Spatzen, aber ich ignoriere sie.
Der Anfang einer Liebe braucht den Schlaf. Er braucht das Aufwachen aus Träumen und Gedanken, die man nicht sofort einordnen kann. Der Anfang braucht die Entfernung, eine Distanz, die man überbrücken kann, indem man sich die Details in Erinnerung ruft: dieser Mund, dieses Kinn. Diese kleine Mulde am Handgelenk. Und dieser Blick! Dieses Lachen! Und der schöne Satz über die Bäume.
Man muss zur Insel rudern, die Sauna heizen und denken: Hierher möchte ich diesen Menschen bringen, ich möchte mit ihm gemeinsam über den See rudern und den Fuchs im Kiefernwäldchen entdecken. Ich möchte über die Tannen auf dem Grundstück sagen: Sehen sie nicht aus wie freundliche Fabelwesen, die die Vergangenheit bewachen?
Im Juli fahre ich nach Kuhmo, der Zug durchteilt die weite Landschaft. Der Mann ist mit Elsa und dem Mädchen in Paris. Ich weiß nichts über diese Wochen, ich weiß nicht, dass sie glückliche Tage verleben, dass es Momente gibt, in denen er Elsas Nacken küsst, dass sie gemeinsame
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