Wahr
Flug nach Paris geht in zwei Stunden, noch sind wir auf Helsinkis Kopfsteinpflasterstraßen. Der Taxifahrer spricht mich als Ehefrau an, als wäre das stets meine Stellung gewesen. Aus stummer Entschuldigung erstarre ich wie ein Denkmal.
Er bereut es schon jetzt. Absurd! Er ist mit einer Assistentin unterwegs, die dieser Laffe als seine Frau bezeichnet!
»Sie ist nicht meine Frau. Es ist eine Dienstreise.«
Ich wende mich ab und schaue aus dem Fenster, will sein Gesicht und seine Gedanken nicht sehen. Ich denke: Das wollte er doch, er wollte mir die Stadt zeigen. Er liebt mich doch oder etwa nicht? Die Liebe begann schon auf dem Fest. Im August, als er mich quer durchs Zimmer angesehen hat. Sie ist wie eine Krankheit, von der er sich nicht erholen kann, und es wird ihm auch nie gelingen.
Wieso ist diese Erfahrung so neu für ihn, dass Liebe ein Fieber oder eine Droge ist, der Drang, dem anderen ständig nah zu sein? Wieso hat er das mit Elsa nicht erlebt? Weil sie einander ohnehin gehörten? Er fürchtet, zugrunde zu gehen, wenn er nicht bei mir ist, sich in Nichts aufzulösen, wenn er nicht in mir sein darf. Wenn er morgens nicht mein Lächeln beim Aufwachen sieht – dann kann er auf die Welt genauso gut verzichten.
Er möchte die Hand nach mir ausstrecken, bringt aber keine Bewegung zustande. Eine Gegenkraft hemmt ihn, nimmt Elsas Formen an. In ihm strahlt das Bild seiner Frau direkt nach der Entbindung auf – das erstaunt ihn, denn meist ist Elsa unmütterlich fest, ihr eigenes unnachgiebiges Selbst. Jetzt geht sie langsam den Krankenhausflur entlang, wie porös, der Bauch noch gedehnt wie ein Lebewesen, das die gemeinsame Tochter beherbergt hat. Elsa vor einer Tür, wie sie die Hand nach ihm ausstreckt: Komm, lass uns das Baby ansehen, ich zeige es dir, es hat genau die gleiche Nase wie du. Er erinnert sich daran, dass ich Elsa belogen habe, als es um seine Reise nach Paris ging. Ich behauptete, viel für die Uni tun zu müssen und anschließend Verpflichtungen in Kuhmo zu haben. Ärgerlich, kommentierte Elsa.
»Du hättest nicht lügen sollen«, sagt er, nachdem der Fahrer unser Gepäck aus dem Kofferraum gehoben hat. Wir stehen zu zweit vor dem Eingang zur Schalterhalle. »Jedenfalls hättest du Elsa nicht so direkt anlügen dürfen.«
»Wie denn dann? Indirekt? Wäre das besser gewesen? Indirekt lügen?«
Er wendet den Kopf ab und schaut in die Menschenmenge.
Den ganzen Winter haben wir über diese Reise geredet. Ob sie in Frage kommt. Ob der Verrat nicht zu extrem ist. Ob er uns nicht überfordern würde. Doch ein Freund von ihm hat in Paris eine Ausstellungseröffnung, und dies ist unser Deckmantel. Im Flugzeug misst er mit Blicken das Volumen der Wolken und wirkt dabei, als würde er Fluchtmöglichkeiten erkunden. Wir sitzen stumm nebeneinander, wie zwei Fremde, ich wage nicht, ihn zu berühren.
»Ich fliege zum ersten Mal«, sage ich zur Stewardess.
Ihre Ausstrahlung tröstet mich, vielleicht ihr Lächeln, vielleicht der Gedanke, dass sich hier, über den Wolken, Zuspruch und Schutz in ihrer Kaffeekanne materialisieren.
»Haben Sie Angst?«, fragt sie.
»Ich bin nur etwas aufgeregt. Aber der Start war herrlich, wie im Vergnügungspark.«
Sie schenkt mir einen Kognak ein. Ich trinke ihn in einem Zug, sofort breitet sich Begeisterung in mir aus, unerwartet. Ich mache mir nichts mehr aus dem abgewandten Gesicht des Mannes. Was für eine Freude! Was für ein Glück! Unterwegs zu sein zu Möglichkeiten, von denen man nur weiß, dass sie irgendwo existieren.
Am Zielort führen Kunststoffröhren durch die Erde, wie in Science-Fiction-Filmen. Ständig ertönen Durchsagen. Wir betreten eine Röhre, der Mann sieht mich noch immer nicht an.
Neben mir steht eine Araberin, deren funkelnde Augen mit Kohle umrandet sind. Sie trägt meterweise Stoff, nur das hübsche Gesicht leuchtet hervor. Ein Wall aus süßlichem Duft umgibt sie. Ich sehe ihre Nägel aufblitzen, ebenso rot wie ihre Lippen. So etwas gibt es also auch! Das habe ich bisher nur aus Büchern erfahren! All die schläfrigen Nachmittage in der Dachkammer in Kuhmo, an denen ich von fernen Ländern las, während eine Biene am Fenster summte. Jetzt wird diese Exotik Wirklichkeit. Für einen kurzen Moment liebe ich diese Frau, ihre Farbenfreude und ihre harte, raue Stimme, die nicht um Erlaubnis bittet.
Sie sagt auf Französisch zu mir, dass meine Haut so hell sei, als würde eine Lampe in mir leuchten, und lächelt. Ich habe
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