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Wahr

Wahr

Titel: Wahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Riikka Pulkkinen
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Ausstellungseröffnung ist längst zu Ende, Wellen des Übermuts wogen bis an die Decke. Jemand ist auf einen Tisch gestiegen, ein anderer spielt Klavier, obwohl er es nicht kann.
    Er kommt auf mich zu, die Hände in den Taschen, ohne Zögern, aber Witterung aufnehmend. »Da bist du.«
    »Ja.«
    »Kennst du hier irgendjemanden?«
    »Einen. Einen von den Künstlern.«
    Er misst mich mit Blicken. Ihm wird klar, dass er ab solut nicht weiß, was ich denke. Eine Befürchtung kommt ihm in den Sinn, sirrt am Rande seines Bewusstseins wie ein plagendes Insekt: Ich könnte ihn hassen. Woher soll er wissen, ob ich ihn nicht mehr hasse, als ich ihn liebe?
    Er stellt mir Fragen, nicht ganz ernsthaft, will mich zu einem Spiel herausfordern: »Und was denkst du über ihn?«
    Ich antworte leichthin, als würde ich zum Beispiel von Endivien sprechen: »Jemand behauptet, ich würde ihn lieben, aber das ist falsch, denn er bewahrt mein Herz in einer Blechdose auf, zwischen Krimskrams und Staubflusen.«
    »In einer Blechdose? Was für ein Idiot! Dem muss man wohl noch einiges beibringen.«
    »Ich habe schon ein paar Schlägertypen vom linken Seineufer bestellt, die werden bald hier sein. Auf dem Montmartre habe ich unsere Liebesgeschichte für einen Franc an einen Straßenmusiker verkauft, der jetzt für ein paar Centimes die Fakten verdreht; du glaubst nicht, was für Geschmacklosigkeiten dabei rauskommen. Nichtig wie das Brot in diesem Land, genauso luftig und bedeutungslos.«
    Er öffnet seine Hände, damit ergibt er sich. »Dann hat der Mann das Spiel wohl verloren.«
    Ich zögere die Antwort hinaus.
    »Nicht ganz«, sage ich schließlich. »Eine Sache unterscheidet ihn von den anderen. Er sieht mich. Er sieht mich genauer als jeder andere.«
    Er stellt mich den Leuten vor. Ich begegne René und seiner Frau Yvette. Julien. Oscar, dessen Ansicht nach ein Künstler Politik betreiben sollte, am besten durch Zügellosigkeit, Nacktheit, Spiele mit Blut und warum nicht auch Sperma. Evà, sagen sie, ich mag den Klang. Plötzlich ist der Abend erfüllt. Wir schieben die Stühle und Tische zur Seite, der Restaurantbesitzer stellt einen Plattenspieler auf. Wir tanzen. Am Ende, als alle erschöpft sind, tanze ich allein. Ich trage ganz Paris auf meinen Händen, hebe es in die Luft wie auf dem Riesenrad, lasse es nicht fallen. Ich strecke meine Arme in die Luft, mein Rock rutscht die Oberschenkel hoch. Der Mann denkt, dass er mich genauso sehen wird, wenn es eines Tages endet: Den leichten Bogen meines Fußrückens, bevor mein Ballen kurz den Boden streift, um sich gleich wieder in die Luft zu heben, beinahe scheine ich zu schweben. Mein Nacken mit den kleinen Schweißperlen, mein Lächeln, das der ganzen Stadt gilt.
    Als die Nacht sich in den Abend schleicht und meine Füße schmerzen, setze ich mich an seinen Tisch und höre, wie René zu ihm sagt: »Deine neue Frau ist wundervoll.«
    Er nickt, lächelt, streitet es nicht ab. Genauso wenig, dass ich sein bin. Vielleicht, weil es eine andere Sprache ist. Ta femme.
    Sie sprechen über Kunst. Ich höre, wie jemand Parolen von sich gibt, was man zu tun habe, wie man die Welt neu erschaffen müsse. Wahrscheinlich ist es René oder der impulsive Oscar, der eine ganz bestimmte Vision vor Augen hat:
    »Nicht nur ein Bild, sondern mehrere übereinander. Wir müssen alle Schichten der Wahrheit transportieren. Neben der Freude auch den Schatten, die Trauer, den Ernst. Nicht zu vergessen die Brutalität, den Humor und das Banale. Niemand kann sich mehr erlauben, in die Falle des klar konturierten Bildes zu tappen. Ein vielfältiges Abbild, das ist das Schlüsselwort. Die Kopie der Kopie der Kopie. Ikonen gehören auf den Müll, und an ihre Stelle frische Kopien.«
    Jemand fragt den Mann: »Und, wirst du sie malen? Wirst du Evà malen?«
    Seinen Gesichtsausdruck kann ich nicht sehen, als er antwortet, aber ich höre seine Stimme, in der Stolz mitschwingt, auch Zärtlichkeit. »Eeva wird der Welt selbst von ihren Facetten erzählen.«
    Nach der Feier gehen wir frühmorgens die frischen Pfade der Straßenkehrer entlang. Und dann verschmelzen wir, es ist keine Distanz mehr zwischen unseren Körpern und keine Zeit mehr zu verlieren. Ich rutsche auf seinen Schoß, er umfasst meinen Po. Er lässt einen Finger in mich gleiten und öffnet mich ganz, diesen Spalt in mir. Die Kante seiner Handfläche liegt an meiner Scham, und für einen Augenblick bin ich nichts als ein aufsteigender Laut, ein leuchtender Wirbel

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