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Wahr

Wahr

Titel: Wahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Riikka Pulkkinen
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von den Schenkeln bis zu den Haarwurzeln.
    Bin ich das oder er? Entdeckt er durch mich Landschaften, die er vorher nur von Aussichtstürmen sehen konnte? Werde ich erst durch ihn wahr?
    Ich lasse mich auf ihn sinken, er ist tief in mir, die Stadt schützt uns. Irgendwann wird es uns wie ein Traum vorkommen. Jetzt, an diesem Ort, an dem bereits von dem Umsturz die Rede ist, der in drei Jahren die gesamte Welt erfassen wird, jetzt sind wir aus Träumen gemacht und die Träume aus uns.
    Indem wir uns in diesen Traum schmiegen, lassen wir einander wahr werden.
    Nach der Reise entdeckt der Mann die Eifersucht. Er fragt, wo ich gewesen bin. Wenn Elsa bei ihrer Familie ist und ich in der Liisankatu, ruft er abends an, um zu kontrollieren, ob ich mich zu Hause aufhalte. Er tut so, als wollte er wissen, wie es mir geht, aber in Wirklichkeit möchte er meinen Tagesablauf überprüfen.
    »Was hast du gemacht?«
    »Was willst du hören?«
    »Erzähl einfach.«
    »Ich war in einer Vorlesung, dann in der Bibliothek und danach bin ich spazieren gegangen.«
    »Mit wem?«
    Ich antworte nicht sofort, will ihn bis an den Rand treiben. Da habe ich ihn, er geht auf die Knie und bettelt, und ich genieße es und weiß nicht mal warum. Ich werfe ihm ein Bild hin, nach dem er greifen kann: »Ich wäre gern mit dir spazieren gegangen. Ich habe an dich gedacht.«
    »Mit wem denn nun?«
    »Mit Kerttu.«
    Er schweigt, wiegt die Antwort, überlegt, ob er mir vertrauen kann. »Sehe ich dich morgen? Können wir uns treffen?«
    »Vielleicht.« Ich beherrsche dieses Spiel. »Gut«, sage ich schließlich doch. »Wir treffen uns morgen.«
    Am nächsten Tag kommt er zu mir, wir schließen die Tür und tun so, als gäbe es die Welt nicht.
    Im Mai findet der Mann ein Buch auf dem Tisch und hält es in die Luft, als wäre es ein gefährliches Tier, das er soeben gebändigt hat. Er baut sich bedeutungsvoll in der Wohnzimmertür auf, schaut verärgert und bang wie ein kleiner Junge, der etwas falsch gemacht hat, aber nicht weiß, was es war.
    Ich sitze auf dem Boden und spiele mit dem Mädchen, gebe gerade irgendein Kommando, als er seine Frage stellt.
    »Von wem ist dieses Buch? Von deinem neuen Schwarm?«
    Ich schaue zu ihm hoch, lächle, als würde ich nicht verstehen. Das Lächeln verrät mich. Das Buch ist von einem Jungen, den ich an der Uni getroffen habe, er hat mich einmal bis nach Hause begleitet. Anschließend hat er mir das Buch geschenkt, sogar eine Widmung hineingeschrieben. Wieso habe ich es auf dem Tisch platziert, wo er es finden musste? Damit er den fremden Namen entdeckt und sich verhöhnt fühlt? Ja. Aus genau diesem Grund.
    »Ich will, dass du gehst«, sagt er betont ruhig. »Raus.«
    »Wie bitte? Ich kann doch jetzt nicht einfach gehen!«
    Das Mädchen sieht erschrocken erst seinen Vater an, dann mich. Jetzt wiederholt er sein Raus, allerdings brüllend, und ich stehe auf. Das Mädchen läuft in sein Zimmer. Ich sehe, wie es uns durch den Türspalt beobachtet, wie ein verschreckter Vogel auf seinem Zweig. Der Mann schiebt mich in den Flur.
    Ich versuche mich zu wehren. »Nein. Ich gehe nicht.«
    »Raus hier.«
    »Ich habe ihn nicht mal wiedergetroffen!«
    »Raus!«
    Er schubst mich ins Treppenhaus, ich lache verblüfft auf. Ich erkenne, dass ich nichts tun oder sagen kann, was diese kuriose Vorstellung beenden wird. Sobald ich nicht mehr in seiner Wohnung bin, erlahmt sein Zorn, er blickt überrascht auf das, was er angerichtet hat, denn er hört mich weinen. Aber er kann nicht mehr zurück, er beschließt bei seinem Zorn zu bleiben, einen Streit muss man bis ans Ende erforschen, muss jeden Satz, der noch in der Luft hängt, benutzen, jeder Grausamkeit freien Lauf lassen wie einem kleinen Säbel.
    »Los, geh zu ihm! Das willst du doch«, ruft er.
    »Es gibt keinen anderen.«
    »Du lügst. Ich habe seinen Namen gesehen!«
    Eine halbe Stunde lang sitze ich im Treppenhaus. Die Frau aus der Nachbarwohnung geht an mir vorbei, grüßt. Sie hat den Streit gehört, weiß genau, was sich abspielt, doch sie wünscht höflich einen guten Tag.
    Ich sehe das Ende. Ich sitze auf der Treppenstufe, bin unfähig mich zu rühren, zu gehen oder zu klingeln, und ich sehe das Ende. Ich wage es nur noch nicht genauer zu betrachten, obwohl ich erkenne, dass genau diese Taubheit es ankündigt.
    Als die halbe Stunde um ist, öffnet er die Tür und entschuldigt sich. Ich kann nicht anders als aufzustehen und mich der Gestalt seiner Entschuldigung genau

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