Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wahr

Wahr

Titel: Wahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Riikka Pulkkinen
Vom Netzwerk:
schöne Dinge und verändern ganz nebenbei die Welt. Du hast alles bekommen. Eine Familie, die Beschleunigung und die Welt. So bist du.«
    Draußen vor dem Fenster bohrte die Zaunwinde vielleicht schon ihre Wurzeln in die Erde. In den Bäumen leuchtete die Apfelblüte – ihr unschuldiger, wie von sich selbst überraschter Schimmer, als hätte eine Konfirmandin zum ersten Mal einen Minirock angezogen und ihre Anziehungskraft entdeckt. Für einen Augenblick war alles an seinem Platz, genau wie es sein sollte. Alles Wichtige war gesagt. Das Lächeln ihrer Mutter spiegelte Dankbarkeit.
    »So bin ich wohl«, sagte sie.
    Sie umarmten einander lange. Vor ihnen lagen die Pakete mit Mozzarella. Gleich würde der Käse auf dem Grill schmelzen.
    »Meine Tochter«, sagte ihre Mutter, »ist groß geworden.«
    Ein tagheller Gedanke ergriff Eleonoora: Für diesen Moment habe ich gelebt. »Ist alles bereit?«, fragte sie. »Können die Gäste kommen?«
    »Es ist alles bereit. Ich werde mit meinen Freunden feiern, als wäre es der letzte Tag. Und wenn ich müde werde, kümmerst du dich um mich.«
    »Gut. Wenn du müde wirst, kümmere ich mich um dich.«

16.
    DAS TELEFON KLINGELT drei Mal, ehe eine Frau sich meldet. Anna hat diesen Anruf eine Woche lang aufgeschoben.
    »Einwohnermeldeamt.« Die Stimme klingt fordernd.
    Aus irgendeinem Grund will Anna ihre Anonymität wahren; sie stellt sich nicht vor.
    »Wenn ich einen Namen und eine alte Anschrift habe, bekomme ich von Ihnen dann auch die neueste Adresse?«
    »Ja. Es reichen sogar Name und Geburtsjahr.«
    Annas Hände zittern. »Sie heißt Eeva Ellen Ronkainen, das Geburtsjahr ist wahrscheinlich 1942. Eine ihrer alten Adressen könnte die Sammonkatu in Helsinki sein. Geboren wurde sie in Kuhmo. Ihr Nachname ist inzwischen vielleicht ein anderer, falls sie geheiratet hat. Ronkainen ist ihr Geburtsname.«
    »Gut«, sagt die Frau, »mal sehen, was wir finden.«
    Anna hört sie auf ihrer Tastatur tippen.
    »Sie sind also nicht mit ihr verwandt?«
    »Nicht direkt, nur über ein paar Ecken.«
    Durch die Leitung sickert Zweifel.
    »Wozu brauchen Sie die Information?«
    Anna ahnt nichts Gutes.
    »Muss ich darauf antworten?«
    »Es gibt Fälle, in denen wir nachfragen«, erwidert die Frau. »Wir können nicht jedem alles zugänglich machen.«
    »Stammbaumforschung«, sagt Anna schnell.
    »In Ordnung.«
    Anna hört das Klicken der Maus. Sie sieht den Bildschirm vor sich, der Pfeil zeigt auf die Gruppe mit Frauen, die Eeva Ronkainen heißen, dann auf die, die Eeva Ellen heißen. Auch von ihnen wird es mindestens zwei oder drei geben. Sie sieht den Pfad des Ausschlusssystems deutlich vor sich, bis zum Ende, an dem nur eine Person übrig bleibt.
    »Na bitte«, sagt die Frau. »Wir haben die Gesuchte gefunden. Soll ich Ihnen die Daten vorlesen?«
    »Ja.« Anna hört den Hall ihrer Stimme.
    »Eeva Ellen Ronkainen.« Die Frau macht eine kleine Pause. »Geboren in Kuhmo 1942. Hier sind mehrere Adressen, aber nicht die Sammonkatu. Vielleicht war sie dort nie offiziell angemeldet. Alle Adressen befinden sich in Helsinki, auch die letzte, obwohl …«
    »Was ist?«
    Die Frau macht eine Pause, seufzt und liest laut vor, sachlich und jedes Wort einzeln betont. »Gestorben in Kuhmo 1968.«
    Hinter der Wand stimmt die dreijährige Tochter von Annas Nachbarn ihr Trotzgeheul an. Im Fahrstuhl ­lächelt sie sie immer an, präsentiert ihre Kuscheltiere und gibt Aussagesätze von sich: »Ich wohne unten. Du wohnst oben. Das ist trotzdem nicht der Himmel.«
    »Woran denn?«, fragt Anna überrumpelt.
    Die Frau lacht hell auf. Vielleicht gehört sie zu denen, die es genießen, andere zu schockieren, oder schlicht zu denen, die ohne Empathie geboren wurden. Die erst erstaunt sind und dann kichern, statt höflich ihr Bedauern auszudrücken.
    »Darüber haben wir natürlich keine Informationen. Außer Adressen, Geburten, Eheschließungen, Kindern und Todesdaten wird hier nichts eingetragen; reicht ja auch. Wir hätten nicht die Ressourcen, Todesursachen zu vermerken. Und auch nicht die Erlaubnis, um genau zu sein.«
    »Und wie komme ich jetzt weiter?«
    Die Frau lacht wieder auf, spielt hörbar auf ihrer Tastatur herum. Sie ist eindeutig nicht in der Lage, Informationen neutral herauszugeben. Das Klacken der Tasten verstummt wieder. Anna weiß nichts zu sagen. Die Verbindung rauscht kein bisschen, absolute Stille.
    »Wenn Sie Ihre Verwandten nicht kennen, kann ich an dieser Stelle nichts weiter für Sie tun.«

Weitere Kostenlose Bücher