Wahr
macht sich steif wie ein Brett und flutscht mir fast durch die Arme.
Ich lege Ella in ihr Bett, sie schlägt mich. Ihr Gesicht ist rot gefleckt, genauso sieht sie aus, wenn sie krank ist. Sie strampelt die Decke weg, ein Tritt rammt sich schmerzhaft in meine Brust. Entschlossen lege ich mich neben sie, halte sie weiter fest.
»Beruhige dich. Ich bin bei dir. Es ist alles in Ordnung.«
»Ich hasse dich!«
»Das tust du nicht.«
»Doch. Ich will meine Mama!«
»Die kriegst du auch, aber jetzt bin ich bei dir.«
»Geh weg! Ich will, dass du weggehst.«
»Ich gehe aber nicht weg. Nirgendwohin.«
Ihr Gebrüll schwillt noch einmal an, ihre Stimme ist heiser. Ich lasse sie nicht los. »Sch.«
Irgendwann wird ihr Heulen leiser, sie ist erschöpft, als wäre sie einmal um die Welt gerannt, schnappt nach Luft . Noch fast eine Stunde wird sie wellenartig von Schluchzern geschüttelt. Sie sucht diese Schluchzer wie eine Melodie, die sie in regelmäßigen Abständen neu anstimmt.
Im Wohnzimmer tickt die Wanduhr, die Menschen kehren von der Arbeit zurück, und wir liegen aneinandergepresst im Bett. Das Mädchen ist schweißdurchnässt, zittert. Ich flüstere »sch«.
Daran wird Ella sich später erinnern. Sie erinnert sich an diesen Moment mit zwölf, mit sechzehn, mit zweiundzwanzig und mit zweiundvierzig. Aber ihre Erinnerung ist allein in dem beruhigenden Laut aufgehoben. Wenn sie nachts aufwacht, nach Luft ringt und nicht weiß, was sie belastet, sagt sie »sch« und glaubt, dass die Beruhigung deshalb funktioniert, weil der Laut sie an Wellen und ihre Hochzeitsreise nach Nizza erinnert.
Allmählich beruhigt sich ihr Atem. Ihre Brust hebt und senkt sich noch auffällig schnell, ihr Herz flattert. Sie legt ihre Arme um mich. Schaut mich nicht an, liegt nur starr da.
»Du gehst doch nicht weg, oder?«, flüstert sie.
Nie ist es mir mit einer Antwort so ernst gewesen.
»Nein. Ich bleibe.«
Den ganzen Dezember liegen der Mann und ich im Streit. Ich rede nicht mehr mit ihm, komme nur, um die Wohnung in Ordnung zu halten, Kartoffeln zu schälen, das Mädchen ins Bett zu bringen. Auch er ist verstummt.
Dafür redet das Mädchen umso mehr und presst sich oft an mich. Als würde es eine Behausung in mir suchen. Wenn ich den Müll hinaustrage, zieht es seine Gummistiefel an und läuft mir hinterher. Ich nehme Ella huckepack, sie bittet mich, wie ein Pferd im Kreis zu laufen. Ich trabe, unser Atem bildet Wölkchen. Wie mit einem Äffchen auf dem Rücken steige ich die Treppe noch. Vor der Wohnung setze ich sie ab, schließe die Tür auf, wir stehen im Flur. Sie will auf meinen Arm.
»Schatz, ich kann dich nicht immerzu tragen. Du bist schon ein großes Mädchen.«
»Ich bin noch ziemlich klein«, sagt sie und zieht einen Schmollmund.
Sie schlingt ihre Arme um meine Taille, schiebt ihren Kopf unter meine Jacke. Ihre erhitzten Atemzüge, kleine Wirbel an meinem Bauch, als würde sie an meinem Nabel nach einem Weg suchen, in mein Innerstes zu gelangen, in Eevas Mitte, aus der man nicht mehr fortkommt.
Der Mann beobachtet uns. Er ist rastlos und gequält, die letzten Wochen liefen nicht gut. Seit einem Monat haben wir nicht mehr zusammen auf dem Dachboden gesessen, und beim letzten Mal habe ich ihn unbeteiligt angesehen, die Arme vor der Brust verschränkt. Er probiert wieder eine neue Technik aus, übermalt eine alte, fotografiert, um Fotos und Ölfarben zu kombinieren.Was ist mit seiner alten Technik, der Radierung? Wieso gibt er sie so leichtfertig auf? Er hätte schon zehn, hundert Bilder von mir drucken können, wenn er meine Umrisse in Holz oder Linoleum geritzt hätte. Ölfarben wirken bei ihm altmodisch und muffig. Wenn, dann sollte er sich für etwas anderes öffnen.
Ich nehme keinen Anteil an seiner Ratlosigkeit. Seinen Blick habe ich im Atelier nicht näher an mich herankommen lassen als bis zum Augenwinkel.
»Geh«, hat er schließlich gesagt, »du willst gar nicht hier sitzen.« Und ich bin gegangen.
Jetzt sieht er mich und das Mädchen, das Mädchen und mich im Flur, ineinander verknäuelt, und wagt sich keinen Schritt näher. Ich sehe, wie gern er mir nah sein möchte, am liebsten würde er in mich dringen. Und ich weiß, wenn er mich vielleicht schon heute Abend darum bittet, habe ich nicht die Kraft, Nein zu sagen.
Aber er schweigt, unser Streit ist zäh. Er weitet sich von Tür zu Tür in die Zimmer aus, quillt in jede Ecke wie ein unbeherrschbar gewordener Teig.
Als das Jahr verrinnt, erzähle
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