Wahr
ich Kerttu scheu von meinen Plänen: Ich möchte umziehen.
Den ganzen Herbst über habe ich mir eigene Wände gewünscht, einen Herd, einen Tisch, eine Schwelle, über die ich gehen kann. Sagen zu können: meins.
Wir sitzen still da. Die Liisankatu liegt offen unterhalb der Fenster, die Wände erwarten die richtigen Worte.
Nach einer Weile sagt Kerttu. »Irgendetwas Neues fängt an. Etwas anderes.«
Ich lächele.
»Und wir wissen darüber nichts, außer dass es gut sein wird.«
Anfang Januar finde ich in der Pengerkatu eine zwanzig Quadratmeter große Wohnung mit Holzdielen und einem kleinen Sprossenfenster zum Hof. Auch diese Wohnung war früher eine Dienstmädchenkammer, aber sie gehört mir. Ich zahle die erste Miete in bar, bevor ich meinen Tisch hineintrage. Im Fenster sehe ich meine Spiegelung, ich sehe fremd aus, noch. Aber doch so, dass ich lernen werde, diese Frau zu mögen. Diese fremde Frau, die keine Angst hat, ihren Namen zu sagen, hat die schriftlichen Magisterprüfungen bestanden. Nun rackere ich mich einen weiteren Monat mit der Abschlussarbeit ab, während die Stadt von Westen und Osten einschneit und der Frost sie in eine knirschende Eisskulptur verwandelt.
Am sechsten Februar ist meine Magisterarbeit fertig, und Elsa lädt mich in ein Café zum Kuchen ein.
»Ich habe ein Geschenk für dich«, sagt sie gleich zur Eröffnung.
Vermutlich eine Haarspange oder eine Puderdose? Nein, Elsa reicht mir einen Scheck.
»Ich finde, du solltest endlich nach Paris fahren. Deine Sprachkenntnisse ausprobieren. Der Scheck ist von mir.«
Er liegt vor mir auf dem Tisch. Eine hohe Summe. Ich kann hin- und zurückfliegen und in einem Hotel mit vornehmem Speisesaal übernachten, in dem die Frühstückstischdecken starr sind vor Stärke.
»Danke«, sage ich.
Im März sehe ich erneut die verwinkelten Gassen von Montmartre. Ich fahre mit der Metro und steige aufs Geratewohl irgendwo aus. In Bistros lerne ich Leute kennen, ich gehe als Pariserin durch. Meine Gesten haben an Sicherheit gewonnen, ich gebe meine Meinung kund und rauche Gauloises, obwohl das sonst nicht meine Art ist. Aber Evà raucht, sie, die sich ganz selbstverständlich durch Paris bewegt.
Ich bleibe zwei Nächte in einem Hotel, das ich mit Elsas Scheck bezahle. In beiden Nächten träume ich denselben Traum von ihr.
Wir gehen in die Sauna. Elsa ist schon drin, als ich die Tür öffne. Vor lauter Aufgussdampf kann ich kaum sehen. Ich warte darauf, dass Elsa von oben herunterkommt, aber sie harrt lange in der Hitze aus. Als sie irgendwann doch nach unten steigt, sieht sie mich nicht an. Sie nimmt eine Waschschüssel und lässt heißes Wasser einlaufen, gibt drei Kellen kaltes Wasser aus der Tonne hinzu, klatscht sie mit Schwung in die Schüssel.
Dann sieht sie mich an, weder wütend noch geringschätzig noch überrascht noch neugierig. Nur feststellend: Da bist du. Ich betrachte ihren Körper, er ist schön. Füllig. Ihre Brüste sind schwer, aus ihren nassen Haaren rinnt Wasser über die Warzen, die größer sind als meine. Ich kann kaum hinsehen. Ich schaue an ihr vorbei. Wieder hin. Vorbei, wieder hin, vorbei.
»Du hast schöne Brüste«, stammele ich.
Elsa öffnet den Mund, saugt Luft ein, ist kurz davor, etwas zu sagen, wendet sich wieder zum Saunaofen. Für einen Moment befürchte ich, dass sie ihren Arm in den Heißwasserbehälter tauchen und sich verbrennen will. Aber sie lässt nur mehr Wasser in ihre Schüssel. Dann macht sie die Tür auf. Dreht sich noch einmal um, ehe sie geht.
»Pass auf, dass du mit dem Brot nicht auf den Fußboden krümelst«, sagt sie.
»Entschuldigung, habe ich gekrümelt? Ich fege es weg«, sage ich.
»Gut. Dafür bezahlen wir dich.«
Ich wache zitternd und verschwitzt auf und beschließe, keine dritte Nacht auf Elsas Kosten zu bleiben. Ich packe und verbringe die nächsten Stunden mit Spaziergängen, pausiere auf einer Parkbank.
Der Krieg im Fernen Osten ist für die Pariser, wie auch für alle anderen, unerträglich geworden. Sie zeigen das auf überraschende Weise – mit bunten Kleidern und lauten Rufen, die vor zwei Jahren noch nicht durch die Straßen hallten. Die Hüte sind verschwunden und auch die schmalen Röcke, die Säume sind höher geklettert. Die Männer tragen Bärte, von denen meine Mutter gesagt hätte, da können Krähen drin nisten. Die Beatles aus England präsentieren sich im Juni auf dem Cover ihres neuen Albums mit bunten Jacken zwischen schwarz weißen, verblichenen
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