Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wahr

Wahr

Titel: Wahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Riikka Pulkkinen
Vom Netzwerk:
Berühmtheiten. Noch weiß es niemand, aber diejenigen, die ihre Schnurrbärte, Nickelbrillen, lässigen Gesten und in Indien erworbenen Ansichten kopieren werden, gehen heute und hier in den Bars ein und aus. Moden haben dieselbe Haftkraft wie Meinungen und Krankheiten.
    Ich mag Schnurrbärte nicht. Und ich weiß nicht, was ich davon halten soll, dass alle für die freie Liebe kämpfen, wie sie sagen. Ich will nur eine Liebe, eine, die mir allein gehört. Ist das zu viel verlangt? Ist eine solche Liebe altmodisch geworden?
    Am Nachmittag nach meinem Auszug aus dem Hotel begegne ich Marc. Ich sehe mir gerade das Gemälde von Rembrandt an, die Frau, die ich zwei Jahre lang vermisst habe wie eine Freundin, als Marc auf mich zukommt und sagt, wir würden uns ähneln, die Frau auf dem Bild und ich.
    Es geht alles ganz leicht, wie unbemerkt. So beginnen Liebesgeschichten, denke ich, während wir an der Seine entlangschlendern, Wein in einem kleinen Restaurant trinken. Marc sieht mir in die Augen – braune Augen, ohne einen einzigen Schatten! – und lächelt.
    Er sagt: »Wieso solltest du einem Unbekannten nicht vertrauen? Es gibt keine Gegenargumente. Das Leben beginnt damit, dass man sich hineinstürzt!«
    Ich stürze mich hinein, und zwar in Marais in Marcs Wohnung. Es wäre vielleicht ein wenig kümmerlich – das würde meine Mutter bestimmt sagen, wie kümmerlich! –, wenn es nicht so schön wäre.
    »Das ist wahrer Genuss«, flüstert Marc. Seine Brustwarzen sind flach und dunkel, zwei freundliche Au-
gen. Während ich mich auf ihn zubewege, schauen sie mich an wie Stiefmütterchen. Er ist zärtlicher als jeder andere, scheint überrascht, als er den Raum in mir findet.
    Anschließend kocht er mir in seiner engen Küchennische Kaffee, schmiert Butterbrote und kommt wieder ins Bett. Wir haben eine Route entdeckt, segeln auf offenem Meer. »Je t’aime«, sagt Marc, und ich überlege, ob das wahr sein kann, denn wir kennen uns erst einen Tag. Für Marc ist es wahr.
    Aus dem Tag wird ein zweiter und dann ein dritter. Marc schlägt mir ein gemeinsames Leben vor, als handele es sich um eine Ware im Kaufhausregal, die man stehenlassen oder mitnehmen kann.
    »Würdest du mich lieben?«, fragt er. »Du könntest doch, oder?«
    »Ich wäre eine andere. Ich weiß nicht, was für eine Liebe das wäre.«
    »Sie wäre schön.«
    Seine Stimme klingt, als hätte er einen Sonntagsausflug im Sinn, etwas Leichtes, Unkompliziertes. Und wer weiß, vielleicht ist es für Menschen wie Marc auch so. Für Menschen, die ihr Geld in einer Kaffeedose im Küchenregal aufbewahren, deren Türen Freunden wie Fremden offenstehen, die Poster von einem schönen Revolutionär an die Wand hängen, ohne nach Gründen oder Folgen zu fragen.
    Der Revolutionär stirbt im Oktober weit weg von hier. An diesem Tag wird Marc weinen und vor dem Plakat eine Kerze anzünden. Aber bis dahin ist noch Zeit.
    Nach fünf Tagen verlasse ich die Stadt. »Sehen wir uns wieder?«, fragt Marc, und ich sage »peut-être«. Vielleicht vertraue ich ihm und komme wieder, stürze mich hinein, wie mutige Menschen es tun.
    Denn das, was Marc sagt, ist wahr: Alle müssen dem Unbekannten vertrauen, am Anfang ist die Welt für alle gleich fremd. Indem man sich nach ihr ausstreckt, wird sie einem vertraut.
    Ich wundere mich, wie schnell ich Marc nach meiner Heimkehr vergesse. Auf einem Zettel steht seine Adresse, ich habe versprochen, ihm zu schreiben. Meine Adresse habe ich auf seine Hand gekritzelt – vielleicht hat er sie weggeduscht, vielleicht auf ein Stück Papier übertragen. Sein Zettel liegt zerknüllt ganz unten in meiner Tasche, wie ein Pflaumenkern. Aus ihm könnte womöglich ein ganzer Baum wachsen, unter anderen Bedingungen. Ich denke nicht an das Stückchen Papier, werfe es aber auch nicht weg. Zeitgleich mit mir trifft auch das Licht des Frühlings in der Pengerkatu ein; innerhalb einer knappen Woche ist die Sonne schon merklich höher geklettert.
    Am dritten Tag nach meiner Rückkehr steht der Mann vor meiner Haustür, ich komme gerade vom Einkaufen. Er raucht und tritt Steinchen beiseite, als wäre sein Erscheinen nichts Besonderes. Er wirft einen Blick auf mich. Meine Haare sind offen, es gefällt ihm, aber beunruhigt ihn auch. Wer hat meine Frisur verändert? Er erträgt den Gedanken an die Pariser Luft nicht, die meine Haare durchstreift hat, fühlt sich von der Metropole im Süden empfindlich hintergangen.
    »Wer sind Sie?«, fragt er mit einem

Weitere Kostenlose Bücher