Wahr
schelmischen Lächeln. »Hier wohnt eine gewisse Eeva, sie stammt von dort, wo man auf Blumenwiesen Piroggenteig faltet. Aber Sie mit Ihren Haaren und Zigaretten und Ihrem Blick kommen wohl eher aus der Großstadt.«
Ich müsste mich abwenden können. Ich müsste dieses Spiel verweigern. Ein ums andere Mal entferne ich mich von ihm, oder er sich von mir. Wir reißen uns voneinander los, damit wir wieder diese Schritte aufeinander zugehen können. Nie auf der Stelle – immer unterwegs zu mehr Nähe oder Distanz.
Er lehnt sich an die Hauswand, als wäre ihm alles egal; selbst wenn die Wand einstürzte, ihn würde es nicht erschüttern. Mit den Händen in der Tasche und der Zigarette im Mundwinkel ist er mir sehr vertraut. Ich bin ins Zentrum der Welt gereist und habe trotzdem nicht vergessen können, wie es sich anfühlt, ihn zu lieben.
»Schönes Wetter in letzter Zeit«, sagt er.
»Ja, und?«
»Naja, schön eben.«
Ich zucke mit den Schultern. »Erst vorhin habe ich dunkle Wolken am Himmel gesehen. Die sind wie Pferde auf den Häuserblock zugestürmt. Insofern herrscht dort bestimmt kein schönes Wetter«, sage ich.
»Wo? Hier in der Nähe?«
»Verrate ich nicht, du würdest hingehen und versuchen, das auf Papier einzufangen, du würdest nichts an seinem Platz lassen.«
Der Satz lässt ihn für einen Moment verstummen, doch verletzt wirkt er nicht. Er überlegt, ob er unser Spiel weiterspielen soll, beschließt, es zu tun. »Ich habe eine Frau getroffen«, sagt er mit dem typischen Ausdruck in seinem Gesicht. Er hebt die linke Augenbraue.
Ich weiß nicht, wie er das macht, nur die eine Braue zu heben, ein vorwitziger Wurm. Ich weiß sehr wohl, dass ich mich umdrehen müsste. Eine andere, Jahre nach mir und nach Menschen wie mir, würde sich umdrehen und gehen und das Spiel nicht mitspielen. Aber ich bin keine andere als ich, und ich werde nicht die Zeit haben, eine andere zu werden. »Und, wie ist sie?«
»Sie ist wütend. Sie hat in anderen Städten nach ihrer Wut gesucht, ist kaum wiederzuerkennen.«
»Sie war weg, ja. Und das ärgert dich, oder? Dass du sie nicht gesehen hast.«
Der Schmerz kehrt in seine Augen zurück. Eine andere, Jahre nach mir und nach Menschen wie mir, würde ihr Gesicht hart werden lassen. Aber ich bin ich und habe derlei nicht gelernt. Ich habe nicht gelernt, wie man zu jemandem nach einem Ja ein Nein sagt. Wenn man einmal liebt, öffnet man sich dem anderen für immer, gibt sich ganz. Meine Hände wollen Nein sagen, ballen sich zu Fäusten, doch wieder öffnet er mich Schicht für Schicht.
»Habe ich recht mit der Wut?« fragt er.
»Manchmal.« Manchmal sieht er mich genauer als alle anderen. Ich lächele.
Er greift mein Lächeln auf, baut darauf sein Fundament. »Hat es Spaß gemacht?«, fragt er. »So mittendrin im Leben?«
»Ungemein! Es war wie im Zirkus.«
»Diese Stadt ist ja auch ein einziger Zirkus. Ich habe übrigens deine Freundin Kerttu gesehen, sie wollte nach Stockholm, Krawall machen, schätze ich.«
»Und du? Bist du auch zum Krawallmachen hergekommen?«
Er blickt sich um, lässt seine Zigarette fallen, tritt sie mit einer Drehbewegung aus. »Auf Bestellung gern.«
Marcs Adresse ruht in meiner Tasche, der Himmel über uns ist hoch. Irgendwo hat es begonnen zu donnern, und die Welt schält sich bereits hervor, die nach und nach, im Lauf der Jahre, Menschen wie mir beibringt, ihre vier Wände besser abzuschirmen. Aber jetzt sind die letzten Tage des März 1967, und ich habe dem Mann, den ich liebe, nichts als Zugeständnisse zu bieten. Für ihn habe ich kein einziges Nein. Ich öffne die Tür und sage: »Dann komm.«
Den ganzen Frühling machen wir diese Reisen ineinander. Wir können unsere Grenzen ausweiten, denn wir haben meine eigene Wohnung in der Pengerkatu. Er kommt öfter und öfter zu Besuch. Bringt Dinge mit, jedes Mal etwas Neues, den Rasierer, die Zahnbürste, den Skizzenblock, Stifte. Ende April sieht meine Wohnung aus, als hätte er sein Leben aufgeteilt.
Die meiste Zeit liegen wir im Bett und gehen auf Untersuchungsreisen, träge und freundlich, denn wir sind schon so vertraut miteinander, dass wir nicht mehr überrascht werden von dem, was wir entdecken. Ich müsste lernen und mich auf die mündlichen Prüfungen vorbereiten, er müsste arbeiten, aber wir raffen uns nicht auf. Die Wirklichkeit darf warten; wir schmieden unsere Träume.
Am letzten Tag im April weht ein unbarmherziger Wind vom Meer, und ich habe meine letzte Prüfung in
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