Wahr
die Straße auch ihren Magen vollstopfen.
Saara summt vor sich hin. »Wie geht es deiner Oma?«
»Sie hält sich wacker. Plant, eine Swing-Band zu gründen.«
»Typisch«, sagt Saara und grinst.
Anna muss es aussprechen: »Aber das Ende ist abzusehen. Vielleicht ist es schon ganz nahe.«
Ihre Großmutter hat über Saara gesagt: »Das ist mal ein Mädchen mit stabilem Selbstwertgefühl.« Sie waren siebzehn, und Saara hatte erzählt, sie wolle in die Politik oder ans Theater, sie wisse nur noch nicht ganz, wo sie besser Einfluss nehmen könne.
»Wenn du darüber sprechen möchtest, halt dich bitte nicht zurück«, sagt Saara. »Das muss schwer sein. Das Härteste, was du bisher erlebt hast.«
»Woher willst du das wissen?«, fragt Anna scharf.
Saara schaut sie kurz an, schaut noch ein zweites Mal.
Anna macht weiter, obwohl sie keinen Streit provozie ren will. »Man kann doch nicht einfach sagen ›Das Här teste, was du bisher erlebt hast‹.«
»Was hast du denn plötzlich?«
Anna schweigt, sagt dann: »Die harten Dinge erlebt jeder ganz allein. Kein anderer kann das ermessen.«
»Nun sei doch nicht so pedantisch. Meinst du jetzt die Sache vom letzten Jahr?«
»Pedantisch? Ich bin pedantisch? Und du bestimmst mal wieder, wie?« Anna möchte den alten Streit nicht beleben. Dass sie sich nicht entfalten kann, weil Saara sie in den Schatten stellt. Saara, die die Welt erobert, sie verändert. Saara, die Aktive, Saara, die Mutige.
Nun ist der Streit doch wieder eröffnet, Anna kann nur noch Öl in die Flammen gießen. »Du denkst, du weißt alles besser als andere. Du stehst immer im Mittelpunkt, drängst die anderen an den Rand.«
Saara wirkt gereizt, hält den Blick aber fest auf die Straße gerichtet. »Ich glaube, du hast eher selbst ein Problem.«
»So? Was ist denn hier bitte mein Problem?«
Saara überlegt, ob sie wirklich weitersprechen soll. »Du teilst alle Frauen, die dir begegnen, in zwei Kategorien ein.«
»Wie bitte?«
»Denk doch mal nach. Sieger und Verlierer. Bestimmer und Unterdrückte. Glückliche und Unglückliche. Extrovertierte und Verklemmte. Gesunde und Neurotische.«
Anna hört sich schnauben. Sie spürt ihre Verletztheit zwischen den Augen. In das Gefühl mischt sich Triumph: Wieder wird sie falsch verstanden. »Jetzt halt mal die Luft an. Und du bist eine von den Siegern, ja? Deiner Ansicht nach stecke ich dich in die Schublade der Glücklichen und mich in die der Unglücklichen?«
Wie zum Auftakt einer Antwort beschleunigt Saara auf hundertzwanzig. »Ja, ich finde schon, dass du das machst. Ich glaube an so etwas nicht. Ich glaube, dass es jedem frei steht, die Welt so zu gestalten, wie er oder sie es will.«
Anna möchte die Beifahrertür aufmachen. Sie möchte wegrennen, als Gegenargument bis zu den Baumwipfeln fliegen.
»Du weißt rein gar nichts über mich und das, was gewesen ist. Du kanntest mich, als ich sechzehn war, aber die Person gibt es nicht mehr.«
Streit mit Saara beginnt aus dem Nichts. Genauso streitet Anna auch mit Maria, schleudert ihr harte Sätze ins Gesicht. Alte Freunde und Geschwister brauchen einander als Zerrspiegel, in den man kurz hineinblickt, um dann festzustellen: Nein, dieser Spiegel ist längst nicht mehr aktuell.
Saara übergeht den Angriff, sagt schlicht: »Wenn du nichts erzählst, weiß ich natürlich nichts.«
Eine Minute sitzen sie schweigend nebeneinander. Saara gibt noch mehr Gas, überholt zwei Autos, als wollte sie Anna loswerden.
»Es gibt nichts zu erzählen.« Anna hört ihren eigenen Worten zu. »Am besten, man kümmert sich nur um sich selbst.«
»Wieso das denn?«
»Damit man nicht verletzt wird.«
»Wodurch denn?«
»Durch die Liebe.«
Saara sieht sie ungläubig, geradezu verdattert an, als würde sie sich vergewissern wollen, dass neben ihr noch immer Anna sitzt. »Wann bist du so zynisch geworden? Wann hast du dich von der Liebe abgewendet?«
»Die Zeit ändert einen«, antwortet sie. »Erfahrungen. Ich denke mittlerweile, dass die Liebe nicht in diese Welt gehört.« Sie dreht das Gesicht zum Fenster, kann Saara nicht ansehen, als sie sagt: »Die Welt ist nach den Regeln anderer aufgebaut.«
»Wie bitte?!«
Sie lehnt den Kopf an die Nackenstütze, sagt achtlos, um Gleichgültigkeit bemüht: »Anderer Leute. Sachliche, realistische.«
Saara verbirgt ihre Verblüfftheit nicht. »Hör dir doch mal selbst zu. So denkst du nicht wirklich! Du bist diejenige, die barfuß auf der Mannerheimintie getanzt und die
Weitere Kostenlose Bücher