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Wahr

Wahr

Titel: Wahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Riikka Pulkkinen
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und sie versucht hatten, zusam­menzuleben. Es hielt nicht, er hat sie schließlich doch verlassen. Ich fand, sie hätte vorsichtiger sein sollen und auch in anderen Bereichen nach Bedeutung suchen müssen.«
    »Sie haben versucht zusammenzuleben?«
    »Ja, aber es ist ihnen nicht gelungen. Als es vorbei war und ich ihr gesagt habe, dass sie anders leben muss, da meinte sie: ‹Was für einen Sinn hat das Leben dann überhaupt noch? Da können wir alle genauso gut allein leben und sterben.‹«
    Anna lässt den Gedanken an Linda zu. Anfangs hat Linda sie herumkommandiert, und sie hat gehorcht, weil sie für Verbotssätze noch keinen Mut fand. Mit der Zeit hat sie gelernt, auch Nein zu sagen. Und gleichzeitig hat sie lieben gelernt. Hat sie unverhältnismäßig geliebt? War es zu viel?
    Liisa Arteva nimmt mit dem Finger Krümel von ihrem Teller auf. Ob sie befürchtet, ihre Schwester mit diesem Gespräch verraten zu haben? Anna denkt über Saaras Worte nach. Womöglich hat sie recht. Vielleicht hat Anna aufgehört, an die Liebe zu glauben. Was für ein Mensch ist sie dann? Sie ist arm. Warum kann sie mit Matias nicht an all das glauben? Warum wendet sie sich ein ums andere Mal ab?
    Anna bringt es nicht fertig, Liisa Arteva die wichtigste Frage zu stellen: Wie ist alles zu Ende gegangen?
    Sie verabschieden sich in der Diele, wie es Leute tun, deren Leben sich für einen Moment berührt haben. Sie umarmen sich, sagen bis bald, obwohl sie wissen, dass sie einander nicht wiedersehen werden. Anna meint, in Liisa Artevas Blick Erleichterung zu erkennen.
    »Und?«, fragt Saara, als Anna wieder neben ihr sitzt.
    »Ich habe Stachelbeermarmelade gegessen«, bringt sie hervor. »Und ich habe eine Telefonnummer bekommen.«
    Kerttu Palovaara ist ein fiktiver Name. Anna hat jetzt die Telefonnummer der tatsächlichen Person, die in Wahrheit Katariina Aaavamaa heißt. Katariina Aavamaa wohnt in Eira, im Süden Helsinkis. Anna könnte sie sofort anrufen, weiß aber nicht, ob sie wirklich will. Vielleicht wird sie es bei ihren Phantasievorstellungen belassen.
    »Okay«, sagt Saara, »fahren wir nach Hause.«
    1967
    Der Sommer reift. Das Radio, das unablässig dudelt, spült das neue Lied der Beatles auf die Saunaveranda. Es beginnt mit der Revolutionshymne und geht dann über in eine Freudenbotschaft. Während der Juli fortschreitet , beginnen die Leute allmählich an das Lied zu glauben, scharen sich zusammen. Mädchen tragen keine BHs mehr, die Haare und Bärte der Männer werden noch länger. Irgendjemand hat sich ausgedacht, dass es keinen Frieden ohne Liebe gibt, und es jemand anderem ins Ohr geflüstert. Das allgemeine Bewusstsein erweitert sich, der Himmel wölbt sich über den neuen Ansichten. Zwar bebt die Erde nicht, aber die Herzen schlagen höher.
    Davon wissen wir nichts.
    Aber wir bräuchten die Botschaft des Liedes dringender als alle anderen, denn aus unseren Tagen ist plötzlich die Liebe gewichen, ist im Fußboden versickert.
    Der Mann wird immer gereizter, wettert über die Unbeständigkeit des Lichts. »Sitz doch endlich still.«
    »Ich sitze still. Sag mir, was ich machen soll, dann mache ich es auch.«
    »Mehr nach links, dreh den Kopf nicht ständig zur Seite.«
    »Ich drehe meinen Kopf nicht! Vielleicht drehst du dich ja.«
    »Ruhe jetzt.« Da ist keine Zärtlichkeit in ihm. Nur nachts ist er noch anders, wenn er sich in mir windet.
    Der Himmel ist nicht mehr an seinem Platz, ich werde zu einem Schatten.
    »Dein Gesicht«, sagt er. »Es ist schmaler heute.«
    »Mein Gesicht ist wie immer.«
    »Hast du wirklich gefrühstückt? Wenn du ständig anders aussiehst, ist es kein Wunder, dass ich dich nicht einfangen kann.« Sein Blick ist wie ein Messer. »Dieses Licht will sich einfach nicht niederlassen! Verdammtes Licht.«
    »Vielleicht hast du die richtige Form für das Bild noch nicht gefunden? Wenn du die gefunden hast, läuft es wie von selbst.«
    »Mir kommt es vor, als würde ich nie wieder die richtige Form finden«, sagt er finster.
    Ich stehe auf, gehe zu ihm und schaue die Arbeit an. Sie ist unfertig, aber nicht schlecht. »Was stimmt daran nicht?«
    Er antwortet, ohne mir in die Augen zu sehen, wendet den Kopf ab. »Ich weiß nicht. Ich kriege es einfach nicht in den Griff.«
    »Ich finde es gut.«
    »Du bist parteiisch. Und außerdem kannst du das nicht beurteilen. Nur weil du gern durch Museen schlenderst, hast du noch lange keinen Blick für Kunst.«
    Ich werde wütend. »Was willst du eigentlich genau

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