Wahr
faselst du? Ich habe blaue Flecken! Die hast du mir zugefügt! Und das ist dein Bild von Liebe? Meins sieht anders aus, das kann ich dir sagen!«
»Entschuldigung«, wiederholt er. »Das wollte ich nicht.«
»Und wenn ich dir nicht verzeihe?«
»Es ist unmöglich, die Liebe zu malen. Ich kann sie nicht aufs Bild bringen, und damit verschwindet alles. Alles, was an dir wesentlich ist.«
Ich schmelze ein wenig. Schaue ihn an, schweige noch, zögere meine Worte hinaus. Er wirkt hilflos. Stumm stehen wir da, eine Minute, zwei.
Unten lodern bereits die Flammen, doch wir bemerken sie nicht, denn der Wind kommt von Süden, drückt den Rauch in die andere Richtung. Um uns herum knackt und rauscht der Nadelwald.
Ich gebe nach. »Komm her«, sage ich.
Er kommt und umarmt mich.
Eng aneinandergelehnt stehen wir da. Die Zeit vergeht, Jahrhunderte umschlingen uns. Streiten ist so alt wie der Wald. Eine Frau nimmt einen Mann an, lässt die Versöhnung zu, mit ihrem ganzen Körper. So verharren sie, messen die Zeit nicht mehr nach den Regeln der Welt.
Irgendwann sehe ich die Flammen. »Da unten«, bringe ich hervor. Einen kurzen Moment denke ich sogar noch erstaunt, dass die Flammen genauso aussehen wie auf Gemälden. Erst durch das laute Knallen und Prasseln des Holzes, das schlagende Geräusch der Flammen begreife ich, was hier passiert.
Er reagiert schneller als ich und rennt den Pfad hinab. Ich folge ihm. Durch den Rauchschleier hindurch flirren die Tannen hinter dem Haus wie eine Luftspiegelung.Er ist schon vor dem Haus, ich stolpere über eine Baumwurzel und bleibe zurück. Er rüttelt an der Tür, sie ist zu. Das Mädchen hat abgeschlossen, absichtlich, vielleicht auch aus Versehen. Ich könnte mich durch die Wand stürzen, könnte die Bretter zertrümmern und die Isolierung und die Tapete zerfetzen. Aber ich renne zum Gartentisch, will den Zweitschlüssel aus dem Versteck holen. Er schubst mich zur Seite, nimmt einen Gartenstuhl und schlägt damit das Fenster ein. Ehe ich schreien kann, hat er die Glassplitter vom Rahmen gefegt und ist im Haus verschwunden.
Elsa bückt sich, um eine Mappe aufzuheben. Sie ist müde. Sie freut sich schon darauf, am Abend ein warmes Fußbad mit Badesalz zu nehmen, danach wird sie versuchen, ihren Mann und ihre Tochter anzurufen. Sie entdeckt eine Haarspange auf dem Fußboden und einen Fussel, ärgert sich kurz über die Unordnung. In genau diesem Moment wird sie ans Telefon gerufen.
Sie richtet sich auf, dreht sich um, sieht ihre Sekretärin an der Tür. Sie denkt noch, dass sie zu diesem Typ Frau gehört, der seine Unbedarftheit mit zackigen Bewegungen tarnt und in der Freizeit sofort den Haarknoten löst und Jeans anzieht. Sie maskiert sich als Sekretärin, ist aber eine von denen, die nach Feierabend ausgelassen die Straßen bevölkern. Das alles denkt sie, ehe ihr dämmert: Es sind keine guten Nachrichten.
Elsa begreift erst nicht, was sie eigentlich doch schon weiß. Aber es dringt weiter in ihr Bewusstsein vor. Die Heimfahrt über zittert sie. Die Reise dauert enervierend lange, das Taxi, das Warten auf dem Flughafen. Sie sitzt in der riesigen Halle, die mal wie ausgestorben scheint und dann wieder vor Menschen wimmelt, trinkt bitteren Kaffee, umklammert mit schweißnassen Händen den Griff ihrer Tasche, schaut auf den großen Zeiger der Uhr, der erst eine einzige Minute vorgerückt ist, zwei Minuten, schließlich eine Stunde, zwei, drei.
Sie ist die ganze Zeit in dieser dummen Wartehalle gewesen. Jahrelang ist sie in dieser Wartehalle gewesen. Endlich steigt die Maschine in die Luft, Elsa hält sich an den Armlehnen fest und bietet Gott einen Tausch an, obwohl sie eigentlich nicht gläubig ist. Wenn ihre Tochter durchkommt, macht sie keine einzige Reise mehr. Wenn ihre Tochter atmet, und es ihr gut geht, und sie umherläuft und Pläne ausheckt wie alle anderen Kinder, wird sie all das aufgeben und in stickigen Hörsälen Erstsemester unterrichten. Der Himmel ist still, niemand hört ihr Gebet.
Sie beugt sich zur Stewardess und fragt: »Wie lange noch?«
»Vierzig Minuten«, lautet die Antwort.
Zu lange, denkt sie.
Am Ziel hetzt sie zum Taxistand. Der Gedanke an ihre Tochter klebt an ihrem trockenen Gaumen, mit keinem Wort kann sie dem Fahrer von ihrer Not erzählen. Kurz denkt sie, dass vielleicht genau das ihre Tochter am Leben hält. Dass ihr Schweigen das Leben des Kindes schützt. Sie zahlt hektisch, ein paar Münzen fallen zu Boden wie Ablassgaben. Sie lässt sie
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