Wahr
mit dem Bild? Was suchst du?«
Er rauft sich die Haare, wie es seine Art ist, setzt sich hin, zündet eine Zigarette an, inhaliert, schaut auf den See und seufzt. »Ich suche eine ganz bestimmte alte Nuance, und trotzdem etwas, was darüber hinausgeht. Einen Stachel, eine Kante.« Er macht eine hilflose Handbewegung, betrachtet das Bild. »Aber irgendwie ist es banal. Mittelmäßig.«
Meine Augen sind bereits fertig, ganz eindeutig meine Augen. Mein Blick bohrt sich aus dem Gesicht wie auf den geheimnisvollen Porträts aus dem 17. Jahrhundert. Ich schwebe in der Luft, ein Gesicht wie aus dem Nichts.
»Die Augen und der Blick sind gut«, sage ich.
»Nicht gut genug«, wehrt er ab.
Es gibt auch andere Tage. Dann vergessen wir die Arbeit, machen Bootsausflüge, nehmen Proviant mit. Kalbsfleisch in Butterbrotpapier, eine ganze Flasche frische Milch, drei verschiedene Sorten Kuchen, einer von mir und zwei von der Nachbarin. Wir haben Erdbeersaft und Schokolade, die in der Alufolie schmilzt. Das Mädchen bettelt mich unablässig um Schokolade an, schließlich bekommt es ein Stück. Die Alufolie löst sich schlecht von der Tafel, das Mädchen leckt sie ab und lächelt mit verschmiertem Mund.
Davon gibt es ein Foto.
Ella sieht siegesgewiss aus, die Sonne hinter ihr scheint niemals untergehen zu wollen. Später wird sie sich gut an den Bootsausflug erinnern, auch wenn sie sonst nichts mehr von diesem Sommer weiß. Ihre Worte dazu schöpft sie aus den Sätzen anderer, erzählt ihren Töchtern von der Bootstour wie von einem geheimen Schatz: »Am schönsten war es, wenn ich mit Mama und Papa zur Insel gefahren bin, Mama ist gerudert, manchmal hat Papa sie abgelöst, die Sonne stand als freundlicher Feuerball am Himmel. Ich hatte das Gefühl, die ganze Welt bestand nur aus Sonne und Wasser und geschmolzener Milchschokolade, die ich von der Alufolie lecken durfte.«
»Bleiben wir für immer auf der Insel?«, flüstere ich ihm abends ins Ohr, nachdem wir geschwommen sind, am Lagerfeuer Kaffee gekocht und drei kleine Fische gegrillt haben, die an meiner Angel hingen, und aus Steinen einen magischen Zirkel im Sand errichtet haben.
»Ja«, sagt er und küsst mich. »Wir stellen uns einfach vor, dass die restliche Welt nicht existiert.«
»Wir bleiben für immer hier«, sagt das Mädchen.
»Für immer«, wiederhole ich.
Niemand denkt an das Bild auf der Saunaveranda, es ist unwichtig. Und niemand denkt an Elsa, nicht einmal das Mädchen, das beim Einschlafen im Zelt meine Hand hält. Als es ruhig atmet, löse ich meine Hand vorsichtig aus seiner.
Der Mann ist jetzt wieder anders, weich. In ihm leben zwei Menschen, und in diesem Moment ist der Harte und Rücksichtslose mit den Befehlssätzen meilenweit entfernt. Vorsichtig zieht er die Decke beiseite, geduldig, als würde er Erde von einer erschöpften Welt abtragen. Er wandert ein wenig nach unten, küsst meine Brust. Das gehört nur uns, davon können wir niemandem erzählen. Wir verwandeln uns ineinander und bleiben doch dieselben. Ich liebe sein Seufzen, wenn ich mich öffne und ihn zu mir rufe und er mir folgt.
Ende Juli beschließt er, eine neue Technik auszuprobieren. Bei einem Freund, der in seinem Helsinkier Atelier über die nötige Ausstattung verfügt, druckt er zehn Versionen von mir auf Seide. Unbeholfene Versuche, er weiß es selbst. Sein Freund sagt es ihm geradeheraus, benutzt das schlimmste aller Wörter: billig.
Wütend fährt er zurück nach Tammilehto, versucht sich am See zu beruhigen. Das Wasser ist wie ein Spiegel, er lässt seine Gedanken darüber hinwegziehen. Er isst ein Eis, wirft flache Steinchen aufs Wasser. Darin war er schon als Kind gut: Fünf, sechs Mal hüpfen seine Steine hoch, hinterlassen fließende Kreise, die ihn besänftigen.
Während er dem Verschwinden der Kreise zusieht, kommt ihm ein neuer Gedanke. Er wird die Seidendrucke verwerfen; wie lächerlich, dass er das überhaupt probiert hat. Warum nicht mit dem weitermachen, was er schon hat? Er kehrt zu den Ölfarben zurück, wird aber eine neue Technik anwenden, die Farben Schicht um Schicht übermalen. Das ist sein Beschluss.
Dennoch bleibt alles wie gehabt: Ich sitze vor ihm, regungslos, Tag für Tag – und schwebe auf der Leinwand, luftig und isoliert, unvollendet.
Am Abend, an dem alles endet, kann das Mädchen nicht schlafen. Es kommt zum Saunahaus gelaufen, steht von sich selbst irritiert vor uns.
»Was machst du denn hier?«, fragt er und nimmt Ella auf den
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