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Wahr

Wahr

Titel: Wahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Riikka Pulkkinen
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komme.«
    »Wenn ich ihr das sage, dann weint sie. Wie soll ich sie deiner Meinung nach trösten?«
    »Du nimmst sie auf den Schoß und wiegst sie so lange, bis sie aufhört zu weinen.«
    »Gut«, sagt Elsa knapp, »so mache ich es. Und ich erwarte, dass du dich von uns fernhältst. Wenn nicht mir zuliebe – warum solltest du auch –, dann dem Mädchen zuliebe.«
    Und damit steht Elsa auf. Sie geht mit festen Schritten hinaus, die Tür fällt zu, sie ist fort.

20.
    » WEISST DU WAS ?«, fragt Anna.
    »Hmm?« Matias klingt verschlafen. Das Laken unter ihm ist ganz zerknittert.
    »Ich habe eine Frau getroffen«, fängt Anna an. Sie ist schon hellwach, die Müdigkeit ist wie weggeblasen. Wenn Matias möchte, kann er auf das Spiel eingehen. Sie haben es noch nie zusammen gespielt, aber sie hat es ihm vorgemacht, abends. Passanten als Gutenachtgeschichte.
    »In der Straßenbahn?«, fragt Matias und legt die Hand auf ihre Brust.
    Annas Herz pocht, als wollte es aus ihr heraushüpfen, hin zu Matias. Hin, hin, hin. Sie muss weitermachen, muss ihm auf die Sprünge helfen. »Nein, nicht in der Straßenbahn.«
    »Wo dann?«
    »Hier. Hier im Viertel.«
    »Sag mal, wieso rast dein Herz so?«
    »Keine Ahnung, lenk nicht ab.« Ihr gereizter Satz durchschneidet die Dämmerung, schwebt bis an die Decke und verharrt dort.
    »Dann mach weiter«, sagt Matias. »Wie alt war die Frau, jung oder alt?«
    »Jung. Sie hat die ganze Welt mit sich herumgeschleppt, und Sorgen.«
    Matias lacht auf. Sein Lachen ist freundlich, aber es genügt, um sich verspottet zu fühlen. »Das klingt ein bisschen kitschig.«
    Anna springt auf.
    »Was ist los?«, fragt er erstaunt.
    »Nichts.«
    »Jetzt sag doch.«
    »Gar nichts! Lass mich in Ruhe.«
    Anna geht in die Küche, trinkt ein Glas Leitungswasser. Schnelle Schlucke, sie hört ihren Kehlkopf. Sie denkt: Kurz bevor man untergeht, hört man noch sein letztes Schlucken.
    Matias steht an der Tür, schaut zu ihr, kommt auf sie zu. »Entschuldige.« Er sagt es sehr zärtlich. »Das war nur ein dummer Spruch. Erzähl weiter, bitte.«
    »Ein anderes Mal vielleicht«, sagt Anna.
    Sie lässt sich umarmen, sie stehen lange im Halbdunkel der Küche. Dann löst Matias seine Arme und schlurft mit müden Schritten zurück ins Schlafzimmer.
    Anna bleibt stehen und sieht sich in der Küche um, geht in den Flur, die Minuten werden immer länger. Die Schwelle glänzt im Dämmerlicht. Ein Schritt. So einfach, die Schwelle zu überschreiten. So einfach, ein ganzes Leben hinter sich zu lassen, eine ganze Welt. Die Schwelle überschreiten und die Tür schließen, so einfach.
    1967
    Der Mann kommt nach zwei Wochen. Anfang September. Dem Mädchen geht es besser, es wird nur eine Narbe zurückbehalten, die von Jahr zu Jahr blasser wi rd. Aber dem Mann geht es nicht besser. Alles ist zerstört. Er kriegt keine Luft mehr, ist entzweigerissen.
    Er bringt kaum etwas mit, nur eine kleine Reisetasche. Die erste Woche liegen wir die meiste Zeit im Bett und zeichnen mit den Händen die vertrauten Landkarten unserer Körper nach. Ich vermisse das Mädchen, frage oft nach ihm. Er wendet den Kopf ab, seine Sehnsucht ist zu groß, um von Ella zu sprechen. Morgens muss ich zur Arbeit; ich habe an einer Schule im Süden der Stadt eine Französischvertretung übernommen. Nur widerwillig überschreite ich die Schwelle, denn ich weiß, dass er sich in meiner Abwesenheit die Umrisse einer anderen in Erinnerung rufen wird.
    Und so ist es auch: Wenn ich zurückkomme, hat sich etwas Schwarzes in seinen Augen eingenistet. Er sitzt am Fenster und raucht, würdigt mich keines Blickes. Irgendwann steht er auf und kommt zu mir, fährt mit dem Finger meine Hüfte entlang. Er legt seine Hand auf eine Pobacke. Wir lehnen uns aneinander. Ich bin dünner, als er in Erinnerung hat. Und an mir ist ein Geruch, den er nicht mag; vielleicht entwickelt er sich, wenn ich tagsüber unterwegs bin, vielleicht hat er aber auch schon immer zu mir gehört.
    »Sollen wir was kochen? Reis, Kartoffeln?«, frage ich.
    »Egal«, tönt seine Stimme aus der Mulde an meinem Hals.
    Ohne mich erträgt er keine einzige Kartoffel, keine Reiskörner, die versehentlich zu Boden prasseln, keinen roten Kissenbezug, keine Regentropfen an der Fensterscheibe. Er will immer nur in mir sein, unaufhörlich. Nur das lässt ihn vergessen. Nichts als Eeva, vom Scheitel bis zur Sohle, Eeva, die sich den Rock auszieht und duscht und zu ihm kommt.
    »Setz dich auf meinen Schoß«, sagt er,

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