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Wahr

Wahr

Titel: Wahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Riikka Pulkkinen
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»wie in Paris.« Ich nehme ihn auf. Während ich mit ihm schaukele, vergisst er seinen Schmerz.
    Danach legt er sich auf den Rücken, zündet eine Zigarette an, obwohl ich ihm das im Bett verboten habe. »Ich fühle mich wie gefoltert, wie entzweigeteilt«, sagt er, als wäre das meine Schuld.
    Ich stehe auf. »Dann geh. Warum gehst du nicht?«, sage ich, ohne ihn anzusehen. Ich knöpfe meinen Rock zu, schließe den BH .
    »Weil ich mit dir zusammen sein will.«
    »Dann hol das Mädchen zu uns.«
    »Du denkst doch nicht, dass Elsa das zulässt?«
    »Dann zu Besuch. Wenigstens zu Besuch.«
    Am nächsten Tag steht Ella mit ungläubigem Blick und ihrer Puppe unter dem Arm vor der Tür, ihre geputzten Schuhe blinken wie zwei Warnsignale. Ich umarme sie lange. Der Unfall ist kaum noch zu sehen, die Verletzung heilt ab.
    Sie weint ein bisschen. »Molla wurde gerettet«, sagt sie, »man sieht gar nichts, keine einzige Wunde. Papa hat sie gerettet.«
    Ich flüstere ihr den Reim ins Ohr, den schon meine Mutter geflüstert hat. Hier stehen wir, dieser kleine Flur weiß nichts von dem Feuer in Tammilehto, dieser Tag kennt kein Unglück.
    »Gibt es hier Milch?«, fragt sie schüchtern.
    »Ja, hier gibt es Milch und auch noch viel mehr«, sage ich.
    Wir gehen in die Küche, er schenkt ihr ein Glas ein, sie trinkt und schaut sich um.
    »Es gibt gar kein Kinderzimmer. Wo schlafen hier die Kinder?«
    »Auf dem Sofa oder bei den Erwachsenen im Bett«, antwortet er.
    »Das ist zu eng«, sagt sie und nimmt den letzten Schluck. Sie sieht ihren Vater an. »Papa, du könntest jetzt mit mir in den Park gehen.«
    »Gut«, erwidert er, »gehen wir in den Park.«
    Fünfundzwanzig Tage und Nächte. Die Nächte wie Wiegenlieder, auch manche Tage glücklich. Manchmal ist das Mädchen bei uns, meist sind wir zu zweit. Spaziergänge, Mahlzeiten, Gespräche. Er arbeitet ein bisschen, das beruhigt ihn. Ich weiß nicht, dass er in dieser Zeit Elsa trifft. Fünf Mal. Drei Mal gehen sie miteinander ins Bett, er empfindet es als vertraut und zugleich als überraschend neu. Mit mir dagegen kündigt sich ihm der Abschied an. Doch wir verbannen die Wehmut in die Ecken der Wohnung, indem wir uns auf die Zube­reitung unserer gemeinsamen Mahlzeiten konzentrieren, andächtig wie bei einem Abendmahl. Wir wischen uns gegenseitig die Hilflosigkeit aus den Augenwinkeln, indem wir einander umarmen, wir nähren unsere ­Hoffnung jeden Tag und jede Nacht. Aber das reicht nicht.
    In einer Nacht steht er plötzlich auf, zieht sich unwirsch an, als wäre auch dieser Vorgang eine Mühsal, die unsere Beziehung ihm aufbürdet. Er will nach draußen, ich lasse ihn nicht.
    »Du verweigerst meine Liebe!«, schreie ich, kippe ihm den Satz wie heißes Öl ins Gesicht.
    Erst krümmt er sich unter meiner Attacke, dann schubst er mich gegen die Wand. Seine Halsschlagader tritt hervor, schön wie ein Schmuck und durch nichts als Blut gemacht – so würde ich denken, wenn ich nicht wüsste, dass es in diesem Fall die reine Wut ist. »Was willst du von mir?«, fragt er.
    »Dass du mich lässt! Dass du mich lieben lässt!«
    »Aber deine Liebe erstickt mich! Das sind nicht einfach nur Gefühle, das ist zu viel, das ist wie eine Liebe aus einer völlig anderen Welt! Wer bist du überhaupt?«
    »Ich bin Eeva«, sage ich.
    Mein Name ist kaum mehr als ein stummes Flüstern. Von außen betrachtet könnte man denken, dass meine Lippen ein Gebetswort oder eine scheue Bitte formen.
    »Eeva – wer ist das schon? Eeva ist nicht mehr als ein Bild«, sagt er. Er lässt mich los, ich schnappe nach Luft. Schon ist er draußen, die Tür fällt ins Schloss. Er ist fort.
    Nach zwei Tagen kehrt er zurück. Ich habe zwei Abende lang am Fenster gewartet, dem Wechsel des Lichts zugeschaut. Er sieht aus, als hätte er eine weite Reise machen müssen, um bis vor meine Haustür zu gelangen.
    Seine Gesten. Sie sind mir so sehr zu einem Zuhause geworden, dass meine Grenzen sich aufgelöst haben. Es ist, als hätte ich mich in ihn hineinbegeben oder es zumindest versucht. Nur bin ich bei diesem Versuch fortgespült worden, wie in einen Abfluss.
    Ohne etwas zu sagen, setzt er sich auf die Bettkante. Ich setze mich auf seinen Schoß. Er lässt es zu, aber einen Kuss verweigert er mir. Und daran erkenne ich es.
    »Wirst du mich hassen?«, fragt er.
    »Wieso sollte ich?«
    »Weil es nun zu Ende geht.«
    Der Satz kommt ihm leicht über die Lippen. Mit diesem Satz beginnt mein Fall, als wäre ich wie ein

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