Wahr
gläsernem Couchtisch liegen dicke glänzende Einrichtungsmagazine. Vermutlich liest sie die, wenn sie einen Tee trinkt. An der Decke hängt eine Designerlampe, auf dem Sofa liegt eine Kaschmirdecke.
»Leitungswasser oder Mineralwasser?«
»Leitungswasser, danke.«
Die Szenerie wirkt, als wäre Anna gar nicht erwünscht. Auf dem Schreibtisch strahlt ein Laptop ungemütliches Licht in den Raum, ein Aktenordner liegt demonstrativ aufgeklappt auf dem Boden. Aber Katariina Aavamaa ist eine Frau, die ihren Pflichten nachkommt und erfüllt, was sie zugesagt hat, und deshalb darf Anna jetzt auf dem Sofa Platz nehmen.
Sie wägen ab, welche Sätze jetzt angemessen wären, halten sich aufrecht. Katariina Aavamaa hat einen Salat von Stockmanns Delikatessenabteilung aufgetischt, schweigend essen sie. Anna weiß nicht, wie sie anfangen soll, wagt es nicht, nach Eeva zu fragen. Am Telefon kam ihr der Name noch locker über die Lippen, jetzt hängt er wie eine Gräte in ihrer Kehle.
Die Gastgeberin seufzt, steht auf. Sie öffnet einen Schrank und holt zu Annas Überraschung eine Whiskeyflasche, schaut sie fragend an. Anna zuckt mit den Schultern, nickt.
Katariina Aavamaa stellt zwei Gläser mit dem harzfarbenen Alkohol auf den Tisch. Wenn dies eine Filmszene wäre, würde Jane Birkin Aavamaas Part spielen. Birkin würde den Whiskeyduft einatmen, die Augen schließen und wieder ausatmen, und zwar so leidenschaftlich, dass das Geräusch an einen kleinen erstickten Aufschrei erinnern würde. Katariina Aavamaa schließt ihre Augen nicht und leert ihr Glas stehend, in einem Zug. Anna denkt: Vielleicht lag sie mit der Kerttu, die sie sich vorgestellt hat, doch nicht ganz daneben. Menschen entledigen sich nur manchmal alter Rollen und erfinden sich neu.
»Eeva ist im August 1968 gestorben.«
Der Satz fliegt durch die Luft, trifft Anna wie ein Pfeil.
»Das weiß ich.« Anna fühlt sich plötzlich, als mache sie eine Homestory für eine Klatschzeitung.
»Mehr muss man eigentlich auch nicht sagen.« Der Satz wäre unhöflich, gäbe es da nicht dieses Zittern um Katariina Aavamaas Mundwinkel. Sie seufzt. Wirklich, wie Jane Birkin. Oder doch eher Meryl Streep? Oder Catherine Deneuve? Es gibt so viele Frauen, die sich vorschnellen Zuschreibungen verweigern. »Die Arbeit ist gerade ziemlich anstrengend, ich bin etwas erschöpft«, sagt sie.
Anna ist dankbar über das unverfängliche Thema. »Was arbeiten Sie denn?«
Sie lächelt. »Ich bin Agentin, Theaterbranche. Unser Büro ist das einzige in Finnland. Ein schöner Job, ich reise viel und kann einiges beeinflussen, zumindest bis zu einem bestimmten Grad. Die Agentur gehört mir. Ich hätte nie gedacht, dass aus mir eine Businessfrau wird, aber so ist es gekommen – unglaublich!« Sie lacht auf. Dann schaut sie aus dem Fenster, seufzt noch einmal. Zwei Sekunden lang befürchtet Anna, sie würde anfangen zu weinen. Katariina Aavamaa sieht sie nicht an, als sie sagt: »Eigentlich müsste ich eine Menge erzählen können. Vielleicht hat Liisa gedacht, dass ich noch irgendetwas weiß, was ich ihr nicht erzählt habe. Aber letzten Endes ist es unwichtig, wie die Dinge gelaufen sind. Wichtig ist allein, dass sie nicht zurechtgekommen ist. Das ist alles.«
Sie öffnet das Fenster, greift nach der Zigarettenschachtel, die auf der Fensterbank liegt. Keine Gauloises, sondern Marlboro lights. Sie zündet eine an, bläst Rauch aus dem Fenster. Für einen kurzen Moment sieht Anna in ihr Kerttu, die Weltenbummlerin. Kerttus Gesicht, gezähmt von Dior-Puder, unter dem sich die Sommersprossen verstecken, die sie schon damals in San Francisco hatte.
»Oh, das Eichhörnchen, endlich wieder«, sagt Katariina Aavamaa plötzlich und zeigt nach draußen. »Ich habe ihm schon einen Namen gegeben, Teppo. Am Anfang hieß es Jorma, aber der Name stimmte nicht. Wir haben einen Vertrag geschlossen: Ich erzähle ihm meine Sorgen, und Teppo kriegt von mir was zu essen.« Sie steht auf und holt einen Keks aus dem Schrank, hält ihn dem Eichhörnchen aus dem Fenster. Dann wird sie ernst. »Wir haben vor ihrem Tod noch eine Reise gemacht«, sagt sie. »Irgendetwas auf dieser Reise muss ihr die letzte Kraft geraubt haben, was auch immer es war.« Teppo bekommt einen weiteren Keks. »Das war alles ziemlich chaotisch und dumm. Wir sind einfach losgefahren, ohne Ziel. Beim Aufbruch war sie noch glücklich, zumindest glücklicher als am Anfang des Jahres.«
Katariina Aavamaa inhaliert tief und bläst den Rauch
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