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Wahrheit (Krimipreis 2012)

Titel: Wahrheit (Krimipreis 2012) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Temple
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Tomaten anbauen?«

    »Verstehe. Wie geht’s ihm so?«
    »Gordie ist Gordie. Kaum ist Luke da, taucht er fünf Minuten später hier auf.«
    »Bei mir macht er das nicht.«
    »Vor dir hat er Angst.«
    »Blödsinn.«
    Bob schwieg, trug seinen Teller zur Spüle.
    »Jedenfalls ist er ein Sülzkopp«, sagte Villani. »Immer gewesen. Wie seine Mutter. Warum humpelst du?«
    »Hingefallen.«
    »Wie?«
    »Irgendwie halt.«
    »Auf die Hüfte?«
    Bob drehte sich um. »Du bist nicht der Arzt, Junge«, sagte er, »du bist der Scheißcop.«
    Bob schaute nicht weg. Villani hob die Hände, sie gingen raus.
    »Ibisse«, sagte Bob. »Hab noch nie so viele Ibisse gesehen. Ist ein ganz schlechtes Zeichen.«
    »Was passiert, wenn das Feuer herkommt?«
    Bob wandte ihm wieder den Kopf zu, der lange, taxierende, mitleidige Blick. »Das Feuer kommt nicht«, sagte er. »Das Feuer geht, wohin der Wind es schickt.«
    »Beim letzten Mal hattest du einfach Glück.«
    »Das bin ich. Mr. Glückgehabt.«
    »Hoffentlich«, sagte Villani. »Ich hoffe es wirklich. Lass uns mal einen Blick auf die Bäume werfen.«
    »Geh du«, sagte Bob. »Ich warte auf Lukie. Nimm den Hund mit.«
    Villani sah den Hund an. Der betrachtete den Boden wie ein Ameisenbär, der auf sein Essen wartet.
    »Gehen wir?«, sagte er.
    Der Hund sah ihn an, wachsam, heiter, ein Wachposten, der endlich abgelöst wurde. Sie gingen über die untere Koppel,
die dieses Jahr kein Pferdefutter geliefert hatte, durch das Tor zu dem großen, halbmondförmigen Damm, an dessen Rand sie stehen blieben. Der Hund bummelte in die trockene, von Rissen durchzogene Mulde hinunter bis zu einer ungesund aussehenden, gelbgrünen Pfütze, trat hinein und leckte. Das Loch war gegraben worden, ehe sie mit dem Pflanzen begonnen hatten, ein Mann kam mit einem Bulldozer auf einem Lastwagen, verschob tonnenweise Erde, leitete einen Winterbach um. Jahrelang wurde es nie leer, häufig floss das Wasser über, man musste den Rand erhöhen.
    Unterhalb von ihnen lag ein Wald, breit, tief und dunkel, große, über dreißig Jahre alte Bäume. Von Hand gepflanzt, jeder einzelne, mehrere tausend Bäume – Alpiner Eukalyptus, Gebirgs-Sumpfeukalyptus, Red Stringybark, Weidenmyrten, Breitblättriger Eukalyptus, Gesprenkelter Eukalyptus, Schnee-Eukalyptus, Southern Mahogany, Sugar Gum, Silberkroneneukalyptus. Und die Eichen, etwa viertausend, aus Eicheln gezogen, die in zwei aufeinanderfolgenden Jahren im Herbst in jeder Ehrenallee für die Gefallenen der Weltkriege gesammelt wurden, durch die Bob Villani fuhr, in jedem botanischen Garten, an dem er vorbeikam. Er verwahrte die glänzenden, bernsteinfarbenen Kapselfrüchte in braunen Papiertüten in einem eigens dafür bestimmten Kühlschrank, schrieb Herkunftsort und Datum drauf, manchmal die Art, mit Bleistift und in der gedrungenen Handschrift eines Berichte schreibenden Soldaten.
    Im Frühjahr half Villani ihm, hinter den Ställen ein großes Rechteck einzuzäunen, ein kaninchensicherer Zaun. Sie legten die Eicheln in Plastiktöpfe, in eine Mischung aus Sand und Erde, allein dafür ging ein Wochenende drauf. Damals war Villani dreizehn und schon die ganze Woche mit Mark allein, machte für sie beide Frühstück, kochte Tee, machte Sandwiches für die Schule, wusch Klamotten, bügelte. Er erinnerte sich an seine Begeisterung, als er eines Morgens sah,
dass sich winzig kleine Eichenspitzen durch die Erde gebohrt hatten, Dutzende und Aberdutzende, wie auf ein gemeinsames Signal hin. Er konnte es kaum erwarten, dass Bob nach Hause kam, damit er sie ihm zeigen konnte.
    »Was stimmt mit den anderen nicht?«, sagte Bob. »Hast du sie gegossen?«
    Die anderen kamen in den nächsten Wochen zum Vorschein. Den ganzen Sommer lang wässerte er die Sämlinge per Hand, einen halben Becher für jeden aus einem Eimer, den er aus den Wassertanks füllte.
    Eines Samstagmorgens im Spätsommer gingen sie hinab zum unteren Tor und überquerten die nach nirgendwohin führende Straße, blieben am Tor gegenüber stehen. Bob schwenkte die Hand. »Hab’s gekauft«, sagte er. »Fünfundvierzig Hektar.«
    Villani betrachtete die überweideten, kahlen, vernarbten Schafskoppeln. »Warum?«, fragte er.
    »Ein Wald«, sagte Bob. »Wir kriegen unseren eigenen Wald.«
    »Na klar«, sagte Villani. »Einen Wald.«
    In diesem Winter gruben sie die ersten Löcher, wenigstens tausend, ließen Platz für Wege, für Lichtungen, offenbar hatte Bob einen Masterplan im Kopf, den er standhaft für sich behielt.

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