Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman
seinem Stuhl zurück. »Gegen Bezahlung besorge ich Leuten eine neue Identität.«
»Woher nehmen Sie diese Identitäten?«
Er zuckt die Achseln. »Ich lese die Todesanzeigen. Geh zum Standesamt - sag denen, ich bin ein Angehöriger von einem Verstorbenen, oder ich hab die
Todesurkunde von meiner Mutter verloren. Irgendwas fällt mir immer ein, damit sie die Dokumente rausrücken, die ich brauche.«
»Und wenn Sie die Dokumente haben, was machen Sie dann?«
»Die Leute wissen, wie sie mich finden. Wenn jemand verschwinden muß, mach ich es möglich. Ich habe alles, was man dazu braucht: Laminierapparat, Druckerpresse, Fotolabor und mehr Druckplatten als die Münzanstalt.«
»Wann sind Sie dem Angeklagten begegnet?«
»Ist lange her. Achtundzwanzig Jahre, um genau zu sein. Damals hatte ich aber noch nicht so ein Geschäft wie heute. Ich hab diskret gearbeitet, auf dem Speicher von einem Crackhaus in Harlem. Eines Tages taucht dieser Typ auf und fragt nach mir.«
»Das ist, wie Sie gesagt haben, lange her. Woher wissen Sie so genau, daß es der Angeklagte war, der damals zu Ihnen kam?«
»Weil er ein Kind dabei hatte. Ein kleines Mädchen. Ich habe nicht viele Kunden mit Kindern.«
»Um welche Tageszeit war das?«
»Nach Mitternacht. Um die Zeit hab ich immer angefangen.«
»Wie hat er zu Ihnen gefunden?«
»Er ist die Treppe hoch und hat jemanden gefragt.«
»Wen hat er gefragt?« hakt Emma nach.
»Das ist ein Crackhaus, was glauben Sie wohl? Da liegen immer irgendwelche Leute im Treppenhaus rum, die sich einen Schuß setzen, rauchen, sich in die Haare kriegen, was weiß ich.«
»Er ist also mit seiner Tochter durch dieses Haus und an diesen Leuten vorbei und zu Ihnen, und dann?« »Er hat gesagt, er muß ein anderer werden.«
»Haben Sie gefragt, warum?« will Emma wissen.
»Ich respektiere die Privatsphäre meiner Kundschaft. Aber ich hatte zwei perfekte Identitäten für ihn - ein dreißigjähriger Vater mit einer vierjährigen Tochter. Ich hab ihm die Sozialversicherungsnummern gegeben und zwei frisierte Geburtsurkunden und sogar einen Führerschein.«
»Wie viel haben Sie dafür verlangt?«
»Fünfzehnhundert. Ich hab für die Kleine nur die Hälfte genommen.«
»Wie lange hat das Geschäft gedauert?«
»Etwa eine Stunde.«
»Wie hat er bezahlt?«
»Cash«, sagt Greengate.
»Können Sie sich an das kleine Mädchen erinnern?«
»Sie hat geweint. Ich hab mir gedacht, daß sie wahrscheinlich schon längst hätte schlafen müssen und so.«
»Was hat ihr Vater gemacht?«
Er grinst. »Das war ehrlich cool, fand ich. Er hat Zaubertricks gemacht. Der Kleinen eine Münze aus dem Ohr gezogen und so Zeug.«
»Hat das kleine Mädchen irgendwas gesagt?«
Er überlegt kurz. »Als alles geregelt war und er bezahlt hatte, hat er zu der Kleinen gesagt, sie würden ein Spiel spielen, und sie beide hätten jetzt einen neuen Namen. Er hat gesagt, ab sofort würde sie Delia beißen. Und sie hat gefragt, wie sie Mommy denn nennen würden.«
Während Emma diesen letzten Satz wirken läßt, versuche ich, das Mädchen zu sehen, das ich war, das Mädchen, das ich nie kennengelernt habe. Ich versuche, mir die Worte, die Rubio Greengate in den Saal geworfen hat, aus meinem Mund vorzustellen. Aber ich könnte genausogut irgendeine der Geschworenen sein: Es sind keine Erinnerungen für mich, es sind neue, unbekannte Bilder.
Warum tauchen manche Erinnerungen plötzlich wie aus dem Nichts auf, während andere fest hinter verschlossenen Türen verharren?
»Mr. Greengate, Sie haben eine ganze Reihe von Vorstrafen: Bagatelldelikte, Diebstähle und Urkundenfälschung.«
Er breitet die Hände aus. »Berufsrisiko.«
»Waren Sie vor achtundzwanzig Jahren, als Bethany Matthews verschwand, in Untersuchungshaft oder im Gefängnis?«
»Nein. Ich hab gearbeitet.«
»Im Augenblick wird Ihnen im Staat New York Identitätsdiebstahl im minderschweren Fall zur Last gelegt.«
»Ja, richtig.«
»Waren Sie deshalb dort in Untersuchungshaft, bevor Sie hierherkamen, um Ihre Aussage zu machen?«
»Ja.«
»Wird sich Ihre heutige Aussage vorteilhaft auf Ihre Anklage in New York auswirken?«
Er lächelt. »Die Staatsanwaltschaft meint, wenn ich hier aussage, krieg ich dort mildernde Umstände.«
»Mr. Greengate, können Sie uns in Anbetracht dessen einen Grund nennen, warum wir glauben sollen, daß Sie hier die Wahrheit sagen?«
»Ich weiß etwas über die beiden Toten, das nicht in den Todesanzeigen stand«, sagt er. »Ich
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