Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman
lasse, saust sie auf der Stelle los. Vor dem Trailer, wo Sophie so oft gespielt hat, läuft sie ein paarmal im Kreis. Sie beschnüffelt die Kakteen, die Sophie mit Ruthann bemalt hat. Sie zieht immer weitere Kreise, und dann findet sie eine Spur, die aus dem Trailerpark führt.
Während ich Greta folge, die die Nase dicht über den Boden hält, fallen mir lauter Dinge ein, die sich ungünstig auswirken könnten: der Wüstenwind könnte die
Fährte verwehen; der weiche, sengendheiße Asphalt könnte Sophies Witterung mit seinem schwarzen, bitteren Geruch überdecken; die Autos und ihre Abgase könnten Greta ablenken. Der Hund steuert auf den Highway zu, auf dem wir heute vom Gericht nach Hause gekommen sind, und obwohl ich den Gedanken möglichst nicht zulassen will, frage ich mich, ob Greta womöglich der alten Witterung folgt.
Ich rufe mir die Statistiken in Erinnerung, die ich kenne: Wie viele Kinder verschwinden pro Tag in den USA? Wie verringern sich exponentiell die Chancen, ein vermißtes Kind zu finden, je mehr Zeit vergeht? Wie lange kann ein Mensch in der Wüste ohne Wasser überleben?
Greta und ich sind erst eine halbe Stunde unterwegs, als sie plötzlich hinter einem Einkaufszentrum stoppt und kehrtmacht. Sie rennt los und zieht mich an der Leine hinter sich her. »Sophie?« schreie ich so laut ich kann. »Sophie!?«
Und dann höre ich es: »Mommy?«
Ungläubig lasse ich Greta von der Leine. Sie verschwindet um die Ecke des Gebäudes, und als ich ihr folge, sehe ich, wie sie an Sophie hochspringt.
Ich falle schluchzend vor meiner Tochter auf die Knie und reiße sie in meine Arme, halte sie so fest, wie ich nur kann. Sie hat eine Eiswaffel in der linken Hand, und sie begreift offenbar gar nicht, warum ich mich vor ihr in ein weinendes Häufchen Freude verwandelt habe. »Ich dachte, du wärst verschwunden«, keuche ich an der süßen Haut ihres Halses. »Ich wußte nicht, wo du bist.«
»Aber wir haben dir doch einen Zettel geschrieben«, sagt Sophie, und da merke ich, daß sie nicht allein ist.
Vor der Eisdiele stehen Eric, der Detective und Victor Vasquez. »Ich hätte dich angerufen«, sagt Eric, »aber du warst so schnell, daß du in der Eile dein Handy vergessen hast.«
Victor tritt näher, eine verlegene Röte im Gesicht. »Du hast geschlafen, und ich wollte dich nicht wecken, nach allem, was heute passiert ist. Da haben Sophie und ich dir eine Nachricht hinterlassen.«
Der Detective hält ihn hoch - mit Buntstift steht auf einem von den Blättern, auf denen Sophie gemalt hat: BIN MIT SOPHIE EIN EIS ESSEN - SIND IN EINER HALBEN STUNDE WIEDER DA - VICTOR. »Der Zettel lag hinter der Couch. Der Ventilator muß ihn vom Tisch geweht haben.«
Verlegen nehme ich ihm das Stück Papier aus der Hand. »Es tut mir furchtbar leid«, murmele ich. »Ich hab wohl überreagiert...«
Der Detective schüttelt den Kopf. »Dafür sind wir da«, sagt er. »Und glauben Sie mir, wir sind heilfroh, wenn's so ausgeht.«
Während Eric sich bei dem Detective bedankt, schiebt Sophie ihre Hand in meine. »Du hast gesagt, ich darf nicht mit fremden Leuten mitgehen«, sagt sie, »aber Victor kenn ich ja.«
Victor wendet sich an mich. »Ich hätte mir denken können -«
»Nein«, sage ich. »Es war mein Fehler.«
»Sieh mal, was Victor mir mitgebracht hat!« Sophie zieht mich zu einem der schmiedeeisernen Tische vor der Eisdiele und zeigt mir ein Vogelnest mit einigen gesprenkelten Eierschalen darin. »Er hat gesagt, die Vögelchen wohnen jetzt nicht mehr drin, und ich kann es behalten.«
Victor legt die Hand auf Sophies Scheitel. »Ich hab gedacht, bei der ganzen Aufregung im Moment kann sie vielleicht einen extra Freund gebrauchen.«
Ich nicke, versuche, dankbar zu lächeln. Ich spüre Erics Augen auf mir, weiß, daß er sich fragt, warum ich nicht besser aufgepaßt habe, daß er sich fragt, genau wie ich mich auch, ob dieser Prozeß mich auf eine Weise belastet, wie ich es nie für möglich gehalten hätte. Um dieser Diskussion auszuweichen, sehe ich mir das Geschenk für Sophie an. Ich lausche ihrem Geplapper über die kleinen Vögel und wohin sie inzwischen wohl geflogen sind. Als sie mir vorsichtig eine Eierschale in die Hand legt, tue ich so, als wäre ich ganz entzückt, obwohl ich nur etwas sehe, das zerbrochen ist.
Ein feindlicher Zeuge ist jemand, der einem Anwalt und dessen Mandanten ablehnend begegnet. Im Falle meines Vaters wird die Anklage mich in den Zeugenstand rufen müssen, um den Geschworenen
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