Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman
nicht länger aushielt. Ich habe verlangt, daß sie eine Entziehungskur macht. Sie wurde trocken, einen Monat lang, und dann trank sie mehr als je zuvor. Schließlich hab ich die Scheidung eingereicht, aber damit war nur ich aus der Situation raus. Nicht meine Tochter.«
»Warum haben Sie sich nicht an die Behörden gewandt?«
»Damals traute niemand einem Vater zu, ein Kind ebenso gut versorgen zu können, wie eine Mutter das kann ... selbst eine Alkoholikerin. Ich hatte Angst, das Besuchsrecht vollständig zu verlieren, wenn ich das Familiengericht bitten würde, mehr Zeit mit meiner Tochter verbringen zu dürfen.« Ich blicke zu Boden. »Vorbestraften Vätern war man nicht so wohlgesinnt. Daß ich überhaupt so viel Zeit mit Beth verbringen konnte, verdankte ich nur der Tatsache, daß Elise nichts dagegen hatte.«
»Weshalb bist du vorbestraft?« fragt Eric.
»Wegen einer Schlägerei. Dafür hab ich eine Nacht im Gefängnis verbracht.«
»Mit wem hast du dich geprügelt?«
»Victor Vasquez«, sage ich. »Der Mann, den Elise später geheiratet hat.«
»Kannst du dem Gericht sagen, warum du dich mit Victor geschlagen hast?«
Ich drücke den Daumennagel in eine Kerbe im Holz. Jetzt, wo der Augenblick gekommen ist, fällt es mir schwerer, als ich dachte, die Worte auszusprechen. »Ich war dahintergekommen, daß er eine Affäre mit meiner Frau hatte«, sage ich bitter. »Ich habe ihn ziemlich übel zugerichtet, und Elise hat die Polizei gerufen.«
»Vor dem Hintergrund dieser Geschichte hattest du also Bedenken, dich wegen einer Nachbesserung der Besuchsregelung an die Behörden zu wenden?«
»Ja. Ich fürchtete, man könnte annehmen, ich wollte Elise damit nur eins auswischen.«
»Also.« Eric blickt die Geschworenen an. »Die Entziehungskur, zu der du Elise gebracht hast, hatte sich als wirkungslos erwiesen. Du sahst unüberwindliche Hindernisse, auf rechtlichem Wege etwas zu erreichen. Was hast du dann gemacht?«
»Meine Möglichkeiten waren erschöpft, so sah ich es. Ich konnte Bethany nicht bei ihrer Mutter lassen, das ging einfach nicht mehr. Ich wollte, daß meine Tochter ein normales Leben hat - nein, besser als normal. Und ich dachte, wenn ich sie so weit wie möglich fortbringen würde, könnten wir beide vielleicht ganz von vorn anfangen. Ich dachte, sie sei vielleicht noch jung genug, um zu vergessen, wie sie die ersten vier Jahre ihres Lebens verbracht hat.« Ich schaue dich an, sehe, daß du mich mit gequältem Blick von deinem Platz aus beobachtest. »Wie sich herausstellte, hatte ich damit recht.«
»Was hast du dann gemacht?«
»Ich bin mit Beth zu meiner Wohnung gefahren. Ich habe so viele Sachen wie möglich ins Auto gepackt, und dann bin ich Richtung Osten gefahren.«
Eric dirigiert mich mit seinen Fragen, und ich erzähle von der Flucht, von dem Lügengespinst, das nötig ist, um sich neu zu erfinden. Er fragt nach unserem Leben in Wexton, bis zu der Stelle, an der er selbst in unser Leben trat. Und dann gelangen wir ans Ende dieses Aktes, den wir eingeübt haben. »Andrew, als du deine Tochter von zu Hause weggebracht hast, wußtest du, daß du damit gegen das Gesetz verstößt?«
Ich blicke die Geschworenen an. »Ja.«
»Kannst du dir vorstellen, was aus Delia geworden wäre, wenn du sie nicht weggebracht hättest?«
Eric rechnet nicht damit, daß er mit der Frage durchkommt, und prompt erhebt die Staatsanwältin Einspruch.
»Stattgegeben«, sagt der Richter.
Er hat mir erzählt, daß das seine letzte Frage sein wird, daß die Geschworenen über die Antwort nachdenken sollen, die ich nicht geben darf. Doch als Eric schon auf der Tisch der Verteidigung zu geht, bleibt er plötzlich stehen und dreht sich um. »Andrew?« sagt er, als wären wir zwei allein im Saal und als wollte er mich etwas fragen, das ihn schon lange beschäftigte. »Wenn du die Chance hättest, würdest du irgend etwas ungeschehen machen?«
Wir haben die Antwort darauf nicht geprobt, und vielleicht ist es die einzige, die wirklich zählt. Ich wende den Kopf und blicke dir direkt in die Augen, damit du weißt, daß alles, was ich mein Leben je gesagt oder unter Schweigen begraben habe, nur für dich war. »Wenn ich die Chance hätte«, erwidere ich, »würde ich alles wieder genauso machen.«
NEUN
Aber was behältst du von mir? Die Erinnerung an meine Knochen, die dir in die Hände fliegen.
ANNE SEXTON, The Surgeon
ERIC
Vielleicht verliere ich diesen Fall ja doch nicht.
Andrew hat eindeutig das Gesetz
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