Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman
ich und lege auf, während sie noch spricht.
In dem Antrag, den Emma Wasserstein eingereicht hat, wird Delia als Opfer bezeichnet. Jedes Mal, wenn ich
das Wort lese, denke ich, daß sie den Ausdruck furchtbar finden würde. Chris, Emma und ich sitzen im Büro von Richter Noble und warten darauf, daß er das Wort ergreift. Mit seiner beeindruckenden Leibesfülle thront er da und bestreicht ein Käsesandwich mit Erdnußbutter. »Finden Sie, ich sehe dick aus?« fragt der Richter in den Raum hinein.
»Kräftig«, antwortet Emma.
»Gesund«, fügt Chris hinzu.
Das Messer in Richter Nobles Hand verharrt auf der Stelle, und er blickt mich an. »Vollschlank«, sage ich.
»Keine Anbiederung, Mr. Talcott«, sagt der Richter. »Gutes Cholesterin, schlechtes Cholesterin, ich kapier nicht, was das soll. Und ich kapier erst recht nicht, warum ich, wenn ich ein Käsesandwich essen will, nur einen Viertelteelöffel Erdnußbutter draufstreichen darf.« Er nimmt einen Bissen, holt dann tief Luft und verlagert das Gewicht in seinem Sessel. »Ich halte normalerweise keine Anhörungen in der Mittagspause ab, aber vielleicht ist das gar nicht so schlecht. Denn ehrlich gesagt, der Inhalt dieses Antrags ist so ungenießbar, daß es mir fast völlig den Appetit verschlagen hat. Mensch, wenn ich pro Tag ein Dutzend solcher Anträge auf den Tisch bekäme, hätte ich bald einen Waschbrettbauch wie Brad Pitt.«
»Euer Ehren«, wirft Chris rasch ein.
»Ruhe, Mr. Hamilton. Es geht hier nicht um Sie, und sehr zu meinem Verdruß hat Mr. Talcott einen eigenen Verstand.« Der Richter blickt mich an. »Mr. Talcott, wie Ihnen sicherlich bekannt ist, zählt die Beeinflussung von Zeugen zu den größten Verstößen gegen das Berufsethos eines Strafverteidigers. Sie könnten dafür Ihre vorübergehende Zulassung in Arizona verlieren und würden höchstwahrscheinlich auch von jeder anderen Anwaltskammer in unserem Land vor die Tür gesetzt.«
»Das ist mir klar, Richter Noble«, erwidere ich. »Aber die Behauptungen von Ms. Wasserstein sind falsch.«
Die Miene des Richters verfinstert sich. »Sind Sie mit der Tochter Ihres Mandanten verlobt oder nicht?«
»Das bin ich, Euer Ehren.«
»Nun, mag ja sein, daß ihr in New Hampshire alle untereinander heiratet und daher alle miteinander verwandt seid, und es für Mandanten einfach nicht mehr genug Anwälte gibt, die nicht in irgendeiner verwandtschaftlichen Beziehung zu ihnen stehen, aber hier in Arizona handhaben wir so etwas ein wenig anders.«
»Euer Ehren, es stimmt, daß ich eine enge persönliche Beziehung zu Delia Hopkins habe. Aber das wird sich in keiner Weise auf diesen Fall auswirken, ungeachtet Ms. Wassersteins Behauptungen. Ja, Delia fragt mich nach ihrem Vater - aber nur wie es ihm geht und ob er gut behandelt wird - persönliche Fragen eben, keine, die den Fall an sich betreffen.«
»Wir könnten Delia bitten, das zu bestätigen«, sagt Emma mit spitzem Unterton, »aber sie wurde vermutlich bereits instruiert, was sie zu sagen hat.«
Ich wende mich an den Richter. »Euer Ehren, ich gebe Ihnen mein Wort und wenn das nicht genügt, schwöre ich unter Eid, daß ich gegen keine Regeln unseres Berufsstandes verstoße. Ich habe ja sogar eine noch größere Verantwortung gegenüber meinem Mandanten, weil mir auch das Wohl seiner Tochter sehr am Herzen liegt.«
Emma verschränkt die Arme auf ihrem schwangeren
Bauch. »Sie sind zu dicht an dem Fall dran, um Ihre Arbeit anständig zu machen.«
»Das ist lächerlich«, widerspreche ich. »Dann könnte ich auch sagen, Sie dürften in einem Fall von Kindesentführung nicht die Anklage vertreten, weil Sie selbst bald Mutter werden und Ihre Emotionen Ihre Objektivität beeinträchtigen könnten. Aber wenn ich das auch nur aussprechen würde, würde ich mich auf sehr dünnes Eis begeben, nicht wahr? Sie würden mir vorwerfen, ich wäre voreingenommen und sexistisch und völlig reaktionär, ist es nicht so?«
»Mr. Talcott, jetzt halten Sie mal den Mund, damit ich auch mal etwas sagen kann«, ordnet Richter Noble an. »Ich entscheide wie folgt: Sie sind in erster Linie Ihrem Mandanten verpflichtet, nicht Ihrer Verlobten. Doch die Anklage muß mir nachweisen, daß Sie sich der Zeugenbeeinflussung schuldig gemacht haben, bevor ich Ihnen den Fall entziehe, und diesen Nachweis hat Ms. Wasserstein nicht erbracht ... noch nicht. Sie dürfen daher Andrew Hopkins weiterhin vertreten, Mr. Talcott, aber eins lassen Sie sich gesagt sein - ich habe Sie
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