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Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman

Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman

Titel: Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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Gemeinschaftsbereich. Es hat für mich - und das gilt für alle Gefängnisse - etwas von einem Menschenzoo. Die Tiere sind mit Schlafen, Essen, Kontakten untereinander beschäftigt. Einige von ihnen nehmen Notiz von mir, andere nicht. Das ist die einzige Macht, die ihnen geblieben ist.
    Sheriff Jack geht in den Kontrollturm, während ich unten an der Treppe warte. Zwei schwarze Häftlinge in der Nähe fangen einen Rap an, ein alter Mann mit schulterlangem weißem Haar gestikuliert hektisch, um einen der Aufseher auf sich aufmerksam zu machen.
    Plötzlich steht der Sheriff wieder neben mir. »Die gute Nachricht ist, Ihr Mandant ist nicht da.«
    »Wo ist er?«
    Sheriff Jack schmunzelt. »Tja, das ist die schlechte Nachricht, junger Mann. In der Disziplinarzelle.«
    Die Disziplinarzellen sind auf Ebene drei, Haus zwei, in Trakt A und D. Andrew weiß, daß ich komme, noch ehe er mich sieht. Gefangene riechen Anwälte von weitem, und meine Ankunft hat so etwas wie ein Summen in der Luft erzeugt. Er steht absichtlich mit dem Rücken zur Tür, als ich zu seiner Zelle geführt werde. »Ich will nicht mit ihm reden, Sergeant Doucette«, sagt er zu der Aufseherin.
    Sie blickt mich gelangweilt an. »Er will nicht mit Ihnen reden.«
    Ich starre auf Andrews Rücken. »Ist mir nur recht. Ich habe nämlich nicht die geringste Lust, mir anzuhören, warum man dich in die Einzelzelle gesteckt hat.«
    Er dreht sich um und blickt mich lange an. »Lassen Sie ihn rein.«
    Sheriff Jack hat nichts davon gesagt, daß ich in die Zelle gelassen werden soll, und ich sehe der Aufseherin an, daß sie den gleichen Gedanken hat. Wenn Andrew und ich ein normales Mandantengespräch führen wollen, hat das in einem der Besprechungsräume zu geschehen. Schließlich zuckt sie die Achseln - ein von seinem eigenen Mandanten erwürgter Anwalt wäre für die Aufseher vermutlich kein Beinbruch. Als sie das Schiebegitter öffnet, quietscht es, wie Fingernägel auf einer Tafel. Ich betrete den winzigen Raum, und Doucette knallt die Tür hinter mir zu.
    Ich zucke zusammen. Es ist beklemmend. Hier ist kaum Platz für einen Mann, geschweige denn zwei. Andrew setzt sich auf die Pritsche, und ich nehme mit einem kleinen Schemel vorlieb. »Warum bist du hier?« frage ich leise.
    »Selbsterhaltung.«
    »Ich versuche auch, dich zu retten.«
    »Bist du dir da sicher?« sagt Andrew.
    Zeit im Gefängnis ist elastisch. Sie kann sich unendlich hinziehen. »Ich hätte neulich nicht wütend auf dich werden dürfen«, gebe ich zu. »Es geht hier schließlich nicht um mich.«
    »Ich glaube, wir wissen beide, daß das nicht stimmt«, sagt Andrew.
    Er hat recht, in jeder Hinsicht. Ich bin ein Alkoholiker, der als Anwalt einen Mann verteidigt, der vor einer Alkoholikerin davongelaufen ist. Ich bin das Kind einer Alkoholikerin, das nicht fliehen konnte.
    Aber ich bin auch ein Vater und frage mich, was ich in der gleichen Situation tun würde. Ich bin das Opfer meiner eigenen Fehler und klammere mich an eine zweite Chance.
    Ich sehe mich in dem winzigen Raum um, in dem Andrew zu seinem Schutz untergebracht ist. Wir tun alles mögliche, um uns zu schützen: Wir belügen die Menschen, die wir lieben, wir betreiben Haarspalterei, um unsere Handlungen zu rechtfertigen, wir bestrafen uns selbst, statt zu warten, bis wir von anderen bestraft werden. Andrew ist zwar derjenige, dem der Prozeß gemacht wird, aber angeklagt sind wir beide.
    Ich blicke ihm in die Augen. »Andrew«, sage ich nüchtern, »laß uns von vorn anfangen.«

ANDREW
    Im Knast nennt ein schwarzer Insasse einen weißen Insassen Specht, Cracker, Honky, Redneck. Einen Mexikaner nennt er Latino.
    Ein weißer Insasse nennt einen schwarzen Insassen Nigger, Affe, Bimbo, Kröte. Einen Mexikaner nennt er Bohnenfresser oder Chili.
    Ein Mexikaner nennt einen schwarzen Insassen miyate, was dicke, schwarze Bohne bedeutet. Oder yanta, Autoreifen. Oder tiburön, Hai. Einen weißen Insassen nennt er Gringo.
    Im Knast kriegt jeder ein Etikett aufgeklebt. Es bleibt jedem selbst überlassen, es abzupulen.
    Der Hochsicherheitstrakt besteht aus fünfzehn Zellen - fünf Weiße, fünf Latinos, vier Schwarze und die Zelle, in der Concise und ich untergebracht sind. Da sie sich benachteiligt fühlen, wollen die Schwarzen mich unbedingt gegen jemanden mit der richtigen Hautfarbe austauschen. Sie stehen am Eingang des Aufenthaltsraumes und warten auf den nächsten Aufseher, der alle fünfundzwanzig Minuten die Runde macht, um ihr Anliegen

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