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Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman

Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman

Titel: Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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jünger, als du glaubst.«
    »Ich kann mich gar nicht an meine Geburtstage erinnern«, sagst du nachdenklich.
    »Du hast jeden Geburtstag gefeiert. Mit anderen Kindern, und wir sind ins Kino gegangen oder zum Bowling.«
    »Und als ich noch hier gelebt habe?«
    »Na ja«, druckse ich. »Du warst noch so klein. Wir haben keine große Sache draus gemacht.«
    Du ziehst die Stirn kraus, konzentrierst dich. »Ich sehe einen Kuchen vor mir«, sagst du. »Auf einer Tischdecke, die wir in New Hampshire nicht hatten.« Du blickst mich an, triumphierend, weil du dich erinnerst. »Er ist auf den Boden gefallen, und ich hab geweint, weil wir ihn nicht gegessen haben.«
    Das ist die Version, die ich für dich daraus gemacht habe, als es passierte. »Wir hatten ein paar Kinder aus deinem Kindergarten eingeladen«, sage ich behutsam.
    »Deine Mutter hatte getrunken. Sie hat gesungen und getanzt und sich wild aufgeführt, und ich habe gesagt, sie soll aufhören. >Wir feiern eine Partys hat sie gesagt. >So was macht man nun mal auf einer Party.< Ich habe gesagt, sie soll sich hinlegen, ich würde mich um alles kümmern. Sie hat den Kuchen genommen und auf den Boden geworfen und gesagt, wenn sie gehen müßte, wäre die Party eben vorbei.«
    Du blickst mich betroffen an, und sogleich tut es mir leid, dir die Geschichte erzählt zu haben.
    »Sie wußte damals nicht, was sie tat«, sage ich. »Sie -«
    »Wie kannst du sie verteidigen?« fällst du mir ins Wort. »Wenn Eric je ... wenn er jemals -« Du verstummst, ein Puzzle setzt sich zusammen. Habe ich dir nicht nur das Kinn und die Grübchen vererbt, sondern auch die Neigung, dir einen dysfunktionalen Menschen als Partner zu suchen? Könnte dieses Gen auch an Sophie weitergegangen sein?
    »Ich will nicht mehr darüber sprechen«, flüsterst du.
    »Okay«, sage ich. »Okay.«
    Ich betrachte dich, wie du auf dem Stuhl sitzt, niedergedrückt vom Gewicht der Erinnerungen, die langsam zu dir zurückkommen, zerstört von den Episoden, an die du dich nicht erinnern kannst. An diesem neuen Ort, den wir gefunden haben, gibt es manchmal keine Worte, weil die Wahrheit schwieriger ist als die Lügen. Ich drücke eine Hand flach an die Scheibe, als wäre es so leicht, dich zu berühren. Auch du hebst die Hand, spreizt die Finger - ein Seestern. Ich stelle mir die unzähligen Straßen vor, die wir überquert haben, Hand in Hand. Wie oft wir unsere Hände aneinander-geschlagen haben, wenn du beim Sportfest an der High-School erfolgreich warst oder wir beide auf einem Fest beim Dreibeinrennen gewonnen hatten. Manchmal denke ich, in meinem ganzen Leben ging es nur darum, dich festzuhalten.
    Auf dem Hof sind wir nach Hautfarbe getrennt, immer zwei oder drei Männer pro Gruppe. Die Schwarzen spielen Basketball, die Weißen stehen an der hinteren Wand, die Mexikaner drängen sich schräg gegenüber von ihnen zusammen. Der Hof ist eigentlich eine Art asphaltierte Halle. Die Überdachung schützt die Insassen vor der mörderischen Hitze im Sommer, und die Öffnungen an der hinteren Mauer lassen frische Luft und ein paar Sonnenstrahlen herein. An der Überdachung hängt eine riesige Flagge, wegen der es weniger hell ist.
    Ein Aufseher ist für dreißig Männer zuständig; er kann nicht alles sehen. Aus diesem Grund finden vor allem auf dem Hof irgendwelche Deals statt. Es werden heimlich Zigaretten gekauft - richtige und selbstgemachte, aus Salatblättern oder Kartoffelschalen, die in Bibelseiten eingedreht sind. Die Insassen wickeln auch hier ihren Drogenhandel ab, der einzige Grund, warum die Menschen verschiedener Hautfarben miteinander Kontakt aufnehmen müssen. Vor meinen Augen verkauft ein Weißer namens Chromedome gerade Stoff an einen Mexikaner. Er holt einen Text-markerstift hervor und zieht die Kappe ab, damit der Käufer die Ware in Augenschein nehmen kann. Ich stehe so dicht daneben, daß mir der beißende Essiggeruch des Black-Tar-Heroin, das er da drin versteckt hat, in die Nase steigt.
    Clutch, der Junge, lungert verloren am Rand der Weißengruppe herum. Er ist blaß und mager, mit krummen, vorstehenden Zähnen und Sommersprossen. Er schaut mit starrem Blick bei dem Basketballspiel zu. Von Zeit zu Zeit bewegt er die Füße, als würde er in Gedanken mitspielen.
    Einer von den Schwarzen hechtet nach einem Ball, kriegt ihn aber nicht zu fassen. Er rollt gegen die Wand, vor der der Aufseher steht, und dann bei mir vorbei. Clutch hebt ihn mit einer Hand auf und läßt ihn auf einem Finger

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