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Wainwood House - Rachels Geheimnis

Wainwood House - Rachels Geheimnis

Titel: Wainwood House - Rachels Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Stoffers
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herbei oder einen Geist im blutigen Leichenhemd. Selbst der falkenköpfige Horus wäre ihr weniger erschreckend vorgekommen als die schmale Gestalt im apfelgrünen Morgenmantel. Denn unter dem gegenüberliegenden Säulenbogen, auf der anderen Seite der Galerie, stand ihre Schwester Claire.
    Nach der lärmenden Hitze des Ballsaals sog Julian gierig die schneeklare Luft auf der Terrasse ein. Er hatte seinen Frack auf der Balustrade zwischen zwei Pflanzenkübeln zurückgelassen. Obwohl ihm die Kälte bis durch das Hemd drang, verspürte er kein Bedürfnis, wieder hineinzugehen. Er stand auf einer der abgelegenen Seitenterrassen. An die Brüstung gelehnt hing er seinen Gedanken nach. Die Fenster des Ballsaals warfen helle Quadrate auf den frostharten Rasen, dahinter erstreckte sich der unbeleuchtete Park. Auf Höhe der Allee leuchteten die roten Lampions wie ein geisterhafter Laternenumzug durch die Nacht.
    Julian fingerte ein zerfleddertes Päckchen Zigaretten aus seiner Hosentasche und schob sich eine zwischen die Lippen. Beim Abtasten seiner Taschen stellte er fest, dass das Feuerzeug seines Vaters noch in seinem Frack stecken musste. Doch als er sich gerade umdrehen wollte, hörte er das vernehmliche Ratschen eines Zündholzes, und im nächsten Moment flackerte ein zitterndes Flämmchen auf, beschirmt von Maurice Blyths schlanken Fingern. Sein alter Schulfreund war lautlos neben ihn getreten, auch nach einer zur Hälfte durchtanzten Nacht noch immer eine makellose Erscheinung.
    »Bist du nicht langsam zu alt dafür, dich noch zum Rauchen hinauszuschleichen?«, erkundigte sich Maurice zuvorkommend, während Julian die kleine Flamme in den Tabak sog.
    »Alt genug, um vor unverheirateten Töchtern und kuppelnden Müttern zu fliehen«, korrigierte Julian ihn liebenswürdig. Jetzt sog er den bitteren Rauch genauso gierig ein wie gerade noch die klare Luft. »Doch diese Sorge scheinst du ja nicht zu teilen.« Er hatte Maurice im Laufe des Abends mit wenigstens der Hälfte all seiner Tanzpartnerinnen flirten sehen, und die jungen Damen schienen alles andere als abgeneigt gewesen zu sein.
    Maurice zuckte gleichgültig mit den Schultern. »Ich könnte eine junge Erbin gebrauchen.«
    »Junge Erbinnen halten für gewöhnlich nach klangvollen Titeln Ausschau«, erinnerte Julian ihn herzlos. Maurice war, genau wie er selbst, nur der übernächste Anwärter auf den Adelstitel seiner Familie.
    »Es gibt nie genug erstgeborene Söhne für alle wohlhabenden Töchter«, behauptete Maurice ungerührt und nahm sein Kristallglas von der Balustrade. »Und die wenigsten von ihnen können mit meinem Gesicht und meinem Charme konkurrieren.«
    Julian lachte gelöst und begann nun doch vor Kälte die Arme um seinen Oberkörper zu schlingen. »Ganz zu schweigen von deinem einfühlsamen Wesen und deiner natürlichen Bescheidenheit.«
    »Wir können uns nicht alle dein naives Herz leisten, Jules«, erklärte Maurice und leerte sein Glas in einem Zug. »Und streng genommen kannst auch du es nicht. Was willst du mit deiner Zukunft anfangen, wenn deiner Familie die Geduld ausgeht?«
    Nun wusste Julian ganz sicher, dass er wieder hineingehen wollte, auch wenn ihm inzwischen die Füße schmerzten und ihn die Kälte bedauerlicherweise wieder ausgenüchtert hatte. »Ich dachte daran zu studieren. Altertumsforschung wäre schön.«
    Er starrte demonstrativ in den Park hinaus, während Maurice näher herantrat. So nah, dass Julian die Wärme seines Körpers spürte und sich um ein Haar gegen ihn gelehnt hätte. Gerade noch rechtzeitig besann er sich eines Besseren.
    »Sei nicht albern, Jules«, sagte Maurice sanft. »Damit, in der Erde nach rostigen Speerspitzen und verstaubten Gräbern zu buddeln, kannst du kein Geld verdienen. Du würdest den Rest deines Lebens auf Lord Derringtons guten Willen angewiesen sein und am Ende doch noch eine Erbin zum Heiraten brauchen, um deine Forschungen zu finanzieren.«
    Julian sah an Maurice vorbei, während er voller Ingrimm an seiner Zigarette zog. Kurz sah es so aus, als würde sein Freund die Hand nach ihm ausstrecken, doch er stellte nur sein leeres Glas mit einem vernehmlichen Geräusch auf dem eiskalten Stein ab.
    »Geh zum Militär«, riet Maurice ihm, als sei er schon vor geraumer Zeit zu diesem Schluss gekommen. »Als Spross aus gutem Hause könntest du schon mit einem Offizierspatent einsteigen und dich rasch hochdienen. Die guten Beziehungen des Earls werden ein Übriges tun. Außerdem wirst du ungemein

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