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Wainwood House - Rachels Geheimnis

Wainwood House - Rachels Geheimnis

Titel: Wainwood House - Rachels Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Stoffers
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entglitten ihm keinen Herzschlag lang. Er betrachtete seinen Freund unschlüssig, bevor er sich ein schmales Lächeln abrang. »Du wirst dir noch eine Lungenentzündung holen und wochenlang das Bett hüten, Jules.«
    »Zweifellos«, stimmte Julian ihm zu und sah Maurice nicht nach, als er durch die hohe Glastür zurück in den Salon trat. Er stützte sich wieder auf dem steinernen Geländer ab. Die Kälte biss ihm in die Handflächen. Kurz war Julian versucht, doch noch mit ein paar schnellen Schritten zu Maurice aufzuschließen. Stattdessen gab er ihm einen Vorsprung und versenkte seinen Blick ein weiteres Mal in den menschenleeren Hügeln und Hecken, die sich vor ihm ausbreiteten.
    Am Tag vor Weihnachten war ein neuer monströser Präsentkorb von seiner Tante angekommen. Zusammen mit Sam hatte er die Heilige Nacht bei einem Picknick vor dem Kamin seines Zimmers verbracht. Dieses Mal war es Julian leichter gefallen, den jungen Hausdiener zu so viel Pflichtvergessenheit zu verführen, und sie hatten voll wohlwollender Komplizenschaft geschmaust. Doch anders als bei Maurice bestand bei Sam keinerlei Hoffnung, dass er in Julian jemals mehr als einen jungen Herrn sehen würde. Über die Wochen und Monate war zwischen morgendlichen Rasuren und scherzhaften Wortwechseln eine Art stillschweigender Vertrautheit zwischen ihnen gewachsen. Doch das war alles, was Julian erwarten durfte, einige flüchtige Augenblicke unstandesgemäßer Freundschaft.
    Ein leises Scharren riss ihn unverhofft aus seinen Gedanken. Julian erahnte eine Bewegung hinter sich, dann legte ihm jemand fürsorglich seinen Mantel über die Schultern. Das war eine Unverfrorenheit, die sich kein Diener jemals erlauben würde, zumal die Hände auf seinen Schultern liegen blieben und Maurice sich leicht von hinten an ihn lehnte. Julian begriff, dass er vor einer Lungenentzündung bewahrt werden sollte. Ein zaghaftes Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. Ohne länger zu zögern, drehte er sich mit dem Mantel auf den Schultern herum und schlang einen Arm um die schwarz gekleidete Gestalt.
    »Maurice …«, begrüßte er den Freund. Doch gerade als Julian sich vorbeugen wollte, um sich an einen Kuss zu wagen, erkannte er seinen Fehler. Vor ihm stand nicht der zukünftige Politiker, sondern Samuel, der als Hausdiener in seiner Abendlivree genauso gekleidet war wie alle anderen männlichen Gäste des Abends.
    Der Diener war mitten in der Bewegung erstarrt. Seine Hand ruhte noch immer auf den Schultern seines jungen Herrn, den er gerade in den Mantel hatte hüllen wollen. Zu Julians unendlichem Bedauern konnte es auch an seiner eigenen Absicht nicht den geringsten Zweifel geben. Ihre Gesichter schwebten so dicht voreinander, dass Julian riechen konnte, dass Samuel sich zur Feier des Tages an dem Punsch vergriffen hatte. Einen verzweifelt kurzen Moment lang war er versucht, seine Bewegung zu vollenden und den Hausdiener zu küssen, nun, da alles offenbart war.
    Doch stattdessen ließ er ihn los. Er straffte seine Schultern und trat einen Schritt zurück. Dabei stieß er mit dem Rücken gegen die Balustrade. Samuel hatte sich kein Stück gerührt, doch sein fassungsloser Blick sprach Bände. »Sie müssen verzeihen, Samuel«, brachte Julian endlich mit weit mehr Selbstbeherrschung hervor, als er tatsächlich empfand. »Ich habe Sie mit jemandem verwechselt.«
    Verborgen hinter den verblassenden Gobelins und unbemerkt von den Feiernden, verlief hinter der Längsseite des Ballsaals ein schmaler Korridor, den kein Gast je zu Gesicht bekam. Er half den Dienstboten dabei, auf dem kürzesten Weg aus der Küche in den Festsaal zu kommen, ohne dabei den Herrschaften zu begegnen. Für gewöhnlich wurde dieser Gang nicht benutzt. Die Lampen wurden nur selten geputzt. Unter der Decke hingen Staubfäden. Er bildete eine Abkürzung von einem Trakt des Herrenhauses in einen anderen. Ansonsten war er vor allem eine weitere Möglichkeit, sich im Gewirr der Treppenhäuser und Korridore zu verlaufen. In dieser Nacht allerdings drängten sich die Hausmädchen und Mägde in dem fensterlosen Flur und lauschten mit wippenden Füßen der Musik des Orchesters.
    Wenn ein Hausdiener erhobenen Hauptes mit einem Tablett in den Händen vorübereilte, pressten sie sich an die Wand, um ihm Platz zu machen, und versuchten, durch die geöffnete Tür einen Blick auf die Ballkleider der Damen zu erhaschen. Einige der Mädchen hatten bereits einen hastigen Schluck Sekt aus einem der

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