Wainwood House - Rachels Geheimnis
schnittig auf dem Pferd und in einer Uniform aussehen.«
Für die blutige Mühsal des Krieges erschien Julian das nur ein sehr geringer Trost. »Ich habe nicht vor, mich mit einem gezückten Säbel in die Schlacht zu werfen, Maurice«, sagte er. »Nicht in diesen Zeiten der modernen Kriegsführung, und auch zu keiner anderen.« »Du hast mehr Vorstellungkraft, als dir guttut«, tadelte Maurice und zog ihm den Zigarettenstummel aus dem Mund, um selbst daran zu ziehen. Die Glut glomm zwischen ihnen auf, dann schnippte er den Stummel über die Brüstung. Für einen kurzen Moment wirbelten die Funken durch die Nacht. »Ein Posten beim Militär würde dir Unabhängigkeit bringen und deiner Pflicht Genüge tun. Du bist ein verantwortungsvoller Mensch, der gut für die Männer unter seinem Kommando sorgen würde.«
Unwillig länger über eine Zukunft zu spekulieren, der er am liebsten aus dem Weg gehen würde, fragte Julian: »Und was planst du, außer einer gewinnbringenden Hochzeit?«
»Politik«, erklärte Maurice so selbstverständlich, als würde er über eine Einladung zum Kricket sprechen. Auch wenn Julian davon ausging, dass Maurice jede Sportart nur vom Rande des Feldes, mit Sandwiches und Tee, verfolgte. Er war von jeher mehr der Stratege und Kommentator als Werfer oder Läufer gewesen. »Natürlich werde ich erst in Oxford Recht studieren müssen. Ich könnte Richter werden und mich dann ins Unterhaus wählen lassen.«
Die Hochzeit mit der richtigen Frau würde für Maurice dabei zweifellos von Vorteil sein, und durch das Studium würde ihm noch eine kleine Schonfrist bleiben, bevor er seine Wahl treffen musste. Darüber hinaus war Maurice schon immer ein begnadeter Redner gewesen, so boshaft, wie zutreffend, und so charmant, wie wortgewandt. »Gütiger Gott«, sagte Julian an die weiten dunklen Rasenflächen des Parks gewandt, als er sich vorstellte, dass Maurice die englische Politik genauso geschickt ausmanövrieren würde wie einst ihre Lehrer und Klassenkameraden.
Maurice lachte auf. Dann schloss er so nahe zu Julian auf, dass sich ihre Schultern berührten. Beiläufig legte er seinen Arm um die Hüfte seines Freundes. Da blieb er einen Augenblick zu lange, zu warm und zu schwer, um von Julian missverstanden zu werden.
»Es ist kalt«, bemerkte Maurice, als hätte die eisige Dezemberwitterung auf der Terrasse einem von ihnen entgangen sein können. Julian gab seinem Reflex nach. Er lehnte sich in die Berührung seines Freundes und der schien nichts anderes erwartet zu haben. »Wir sollten hineingehen.«
Es war schwerlich vom Ballsaal die Rede, denn sie waren nicht aus lauter Zufall in diese Situation geraten. Maurice hatte Julian in dem Internat voll mit stolzen Adelssprösslingen so sicher gewittert wie eine Koppel Jagdhunde eine frische Fährte im Unterholz. Er hatte Julian über Wochen hinweg beobachtet. Mit strategischer Zielstrebigkeit hatte er seine Nähe gesucht. Im verzweigten Geflecht der Schule waren tiefe Freund schaften unter den Jungen nichts Ungewöhnliches. Julian war überzeugt davon, dass keiner ihrer Lehrer etwas geahnt hatte, zumal es zwischen ihnen nie mehr gegeben hatte als einen unbeholfenen Kuss im Bootshaus der Rudermannschaft.
Jetzt löste er sich von Maurice, um sich herumzudrehen und ihn anzusehen. Er hatte ein ebenmäßiges Gesicht mit einnehmenden Zügen, die Julian selbst in der Dunkelheit noch hätte nachzeichnen können. Er besaß einen scharfen Verstand mit einem boshaften Sinn für Humor und gebotene Notwendigkeiten. Doch statt Maurice noch näher zu kommen, beschwor Julian die Erinnerung an ein anderes Gesicht herauf.
Samuel war der einzige andere Mann, der ihm jemals so nahe gekommen war wie Maurice, und auch das nur, weil der hochgewachsene Hausdiener ihm jeden Tag beim Ankleiden half. Doch obwohl Samuels ruhige, sichere Handgriffe stets nur von respektvoller Effizienz diktiert waren, lag Julian nun schon seit einigen Wochen morgens oft wach in seinem Bett. Er gab mit dem Kopf in den Kissen vor, noch zu schlafen, während er in Wahrheit geduldig auf das Klopfen zum Wecken wartete, mit dem sein Tag begann. Genauso wie Samuel jeden Abend der letzte Mensch war, den er vor dem Einschlafen sah. Samuel, der ihn niemals so ansehen würde wie Maurice. In der Gewissheit, seine Wahl binnen einer Stunde zu bereuen, schüttelte Julian voll aufrichtigem Bedauern den Kopf. »Geh ruhig, ich bleibe noch.«
Maurice war selbst jetzt schon Politiker genug. Seine Gesichtszüge
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