Wainwood House - Rachels Geheimnis
völlig im Klaren war, hatte sie inmitten ihrer tratschenden Cousinen in Erfahrung gebracht, dass es möglich war, vom Küssen und noch irgendetwas anderem schwanger zu werden. Um dieses ›Andere‹ wurde ein ziemliches Geheimnis gemacht. Es wurde nur angedeutet, um auf der Stelle mit unbändigem Gekicher und verschwörerischen Blicken erstickt zu werden. Außerdem war es scheinbar wünschenswert, aber nicht zwingend notwendig, verheiratet zu sein, um ein Kind zu bekommen.
»Er wird nach meiner Hand greifen, irgendwann …«, sagte Claire neben ihr mit so viel Nachdruck, als würde sie gar nicht mit Penny reden oder als wäre in Wahrheit gar nicht vom Händchenhalten die Rede.
Während sie einvernehmlich in den Saal hinabsahen, hatte Penny plötzlich das Gefühl, als wären ihr der süße Pudding und der Punsch nicht gut bekommen. Die wogenden Röcke der tanzenden Damen und die heraufsteigende Hitze, die sich drehenden Paare und die Musik hatten eine hypnotische Wirkung auf sie. Vielleicht war sie tatsächlich noch zu unerfahren, um zu begreifen, was vor sich ging. Denn schließlich war es Claire, die unbedingt mit Seidenblumen und Perlen geschmückt auf einem Ball tanzen wollte, die als Erste bei Hofe debütieren durfte und die lange vor Penny ihren ersten verstohlenen Kuss kriegen würde. Vorzugsweise ohne davon schwanger zu werden oder eben erst, nachdem sie verheiratet war.
Obwohl ihr Mund entsetzlich trocken war und Penny sich gerade dringend zurück in die vertraute Sicherheit ihres Bettes wünschte, fragte sie: »Woher willst du wissen, dass er der Richtige ist, wenn es so weit ist?«
Diese Frage schien Claire nicht besonders viel Kopfzerbrechen zu bereiten. »Er ist nicht viel älter als ich, und er sieht ganz gut aus, oder? Außerdem weiß er immer etwas Unterhaltsames zu sagen. Und er hat ein Erbe zu erwarten.«
Damit schien alles über Lord Nyles Qualitäten als Ehemann gesagt zu sein. Deutlich sehnsuchtsvoller fügte sie hinzu: »Wenn ich erst verheiratet bin, werde ich ein eigenes Haus in London haben. Ich werde Einladungen verschicken, Abendgesellschaften geben und mir alle meine Kleider selbst auswählen, anstatt mit Mutter zur Schneiderin zu gehen. Ich werde meine eigenen Dienstboten haben, einen Wagen für meine Besuche am Nachmittag und am Abend eine eigene Loge in der Oper.«
Streng genommen würde es natürlich das Haus, der Wagen und die Loge ihres Ehemannes sein, doch Penelope begriff, dass dies nicht der richtige Augenblick war, um Claire mit der Schwachstelle ihrer Zukunftsaussichten zu belästigen. Letzten Endes war das schließlich alles, worauf sie beide hoffen konnten. Wohlstand, Ansehen und Geborgenheit, zusammen mit einem akzeptablen Maß an Unabhängigkeit an der Seite eines Ehemannes. Zumindest Claire schien das verlockend genug zu sein, und Penny wünschte sich plötzlich, sie wäre nicht schon wieder aus ihrem Zimmer geschlichen.
»Du wirst wunderhübsch aussehen in Weiß«, sagte sie, ohne zu erläutern, ob sie Claires Debütantinnenkleid meinte oder das Brautgewand, das sie eines Tages tragen würde. Ihre Schwester nickte huldvoll zu dieser Selbstverständlichkeit. Ohne noch einen Blick in den Saal hinabzuwerfen, zog Penny sich am Geländer der Empore in die Höhe und schlüpfte leise zur Tür hinaus.
Auf dem Rückweg gab Penelope weniger darauf acht, lautlos von Schatten zu Schatten zu huschen und hinter Ritterrüstungen in Deckung zu gehen, um zu lauschen. Es schien ihr unwahrscheinlich, dass irgendjemand sie auf den verlassenen Korridoren bemerken würde, solange mitten in Wainwood ein rauschender Ball gegeben wurde. Nur deshalb linste Penny auch nicht erst um die Ecke, bevor sie auf die Galerie über der Eingangshalle einbog. Musik und leises Stimmengewirr drang aus den Salons bis in das Entree vor. Auf der Treppe in den ersten Stock hinauf brannten noch zwei Lampen, doch der Säulengang der Galerie lag finster und verlassen da. Penny wich routiniert einer bauchigen Vase aus und stolperte trotz des Mangels an Licht auch nicht über den kleinen Stufenabsatz an der Fensterfront zum Park.
»Schlaflos, Lady Penelope?«, erkundigte sich eine nur scheinbar fürsorgliche Stimme hinter ihr. »Oder nur schlafwandelnd?« Penelope erkannte sie wieder, noch bevor sie sich zu dem Sprecher umwandte.
An einem der hohen Fenster lehnte Lord Nyles. Seine Konturen zeichneten sich dunkel vor der Glasscheibe ab und sie konnte sein Gesicht nur erahnen.
»Die Musik hat mich wach
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