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Wainwood House - Rachels Geheimnis

Wainwood House - Rachels Geheimnis

Titel: Wainwood House - Rachels Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Stoffers
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erkannt hätte. Jane, die dazu sehr wohl imstande war, glaubte zu wissen, dass der junge Mann nichts von beidem gewesen war.
    »Gefällt er dir?«, fragte die Irin neugierig. »Er scheint dich bemerkt zu haben. Und er hat wirklich unglaublich lange Wimpern.«
    »Unsinn«, behauptete Jane im Brustton der Überzeugung. »Was soll ich mit einem Verehrer anfangen?«
    »Mir würde da schon etwas einfallen«, behauptete das andere Mädchen voll nüchternem Pragmatismus. »Samuel ist ein hübscher Kerl.«
    »Samuel ist ein guter Freund, nichts weiter«, erklärte Jane vollkommen wahrheitsgetreu. Es hatte trotz Samuels ewiger Hilfsbereitschaft nie den geringsten Hinweis darauf gegeben, dass er in ihrer Gegenwart mehr als etwas Kameradschaft innerhalb des großen Herrenhauses suchte. Auch wenn Jane insgeheim einräumen musste, dass sie beklagenswert wenig über das Werben junger Männer wusste. Offenbar verschickten sie duftende Seifenstücke und versuchten am Sonntag beim Kirchgang, ein paar Worte mit ihrem Mädchen zu wechseln. So viel hatte sie in Erfahrung gebracht, als sie bei ihren gelegentlichen Feldforschungen zu diesem Thema Hanna beobachtet hatte.
    »Und es gibt auch sonst niemanden?«, fragte die Spülmagd gedehnt, Jane neugierig musternd, den Kopf mit der grauen Haube schief gelegt. »Niemanden, der dir zu Weihnachten ein Päckchen schicken würde?«
    »Wer sollte mir denn etwas schenken?«, fragte Jane misstrauisch zurück.
    Die Irin rang kurz mit sich. Sie warf einen Blick zurück. Die anderen Mädchen standen um die Tür zum Ballsaal versammelt und reckten die Hälse, um durch den offenen gebliebenen Türspalt zu äugen. Keiner sah zu ihnen hinüber. Die irische Spülmagd beugte sich zu Jane vor und erklärte mit verschwörerisch gesenkter Stimme: »Mrs Chambers hatte heute Morgen keine Zeit, selbst die Post zu verteilen, also hat es Beatrice getan. Es war ein Päckchen für dich dabei. Sie hat es aber für sich behalten und mit auf ihr Zimmer genommen.«
    Darauf wusste Jane im ersten Augenblick vor lauter Erstaunen nichts zu sagen. Es war weniger Beatrice Boshaftigkeit, die sie überraschte, als vielmehr, dass ihr überhaupt jemand etwas zu Weihnachten geschickt hatte. Die wenigen Freundschaften, die sie in den letzten Jahren geschlossen hatte, waren allesamt in Ägypten zurückgeblieben, außerdem konnten die meisten von ihnen nicht einmal schreiben. Jane waren keine Verwandten mehr geblieben. Nur Mrs Tilling hatte ihr vor einigen Tagen eine Karte geschickt, auf der ein alter Mann mit weißem Bart und rotem Mantel zu sehen war, den Jane für den guten König Wenceslas hielt, auch wenn er keine Krone trug. Die Karte war voll wohlmeinender Ratschläge von der Art gewesen, wie sie auch auf kleine Deckchen gestickt in Mrs Chambers Kammer an den Wänden hingen. Jane hatte an dem festen Papier der Karte geschnuppert, um herauszufinden, ob es genau wie Mrs Tillings nach Zitronen roch, und dabei enttäuscht festgestellt, dass dies nicht der Fall war. Trotzdem bewahrte sie die Karte in ihrer Reisetasche unter dem Bett auf, denn es waren nicht mehr viele Fragmente aus ihrem alten Leben übrig geblieben.
    »Aber wer sollte mir denn etwas zu Weihnachten schicken?«, fragte Jane endlich zum zweiten Mal.
    »Nun, das waren genau Beatrice’ Worte«, gab die Spülmagd entschuldigend zu. »Aber von mir weißt du das nicht!«
    Bevor sie etwas hinzufügen konnte, war Jane durch die Tür ins Treppenhaus geschlüpft. Von der festlichen Stimmung, die sie durch den Tag getragen hatte, war nichts mehr übrig geblieben. Auf dem Treppenabsatz wäre sie um Haaresbreite mit Mr Frost zusammengestoßen, doch noch bevor der Butler sie aufhalten konnte, rannte sie mit gerafften Röcken die Stufen hinauf. Jane hörte ihn nach ihr rufen, doch anstatt zu antworten, bog sie um den nächsten Treppenabsatz. Sie hetzte die Stockwerke hinauf, vor Anstrengung atemlos, und mit einem wild in ihrer Brust trommelndem Herzen. Keines der Mädchen hatte einen anderen Schlupfwinkel als die Schlafkammer unter dem Dach. Dies war auch der einzige Ort, an dem Beatrice das Päckchen aufbewahrt haben konnte. Es wäre sonst im Laufe des Tages unweigerlich jemanden in die Hände gefallen, der es Jane zurückgegeben hätte.
    Auf dem obersten Treppenabsatz musste sie sich am Geländer festhalten, um wieder zu Atem kommen. Die Ballmusik war hier oben nur dann noch zu hören, wenn das Orchester auf ein jubilierendes Crescendo zuhielt, ansonsten regte sich im

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