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Wainwood House - Rachels Geheimnis

Wainwood House - Rachels Geheimnis

Titel: Wainwood House - Rachels Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Stoffers
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war selbst nach dem langen Aufstieg bis unter das Dach nicht außer Atem. Er hielt einen Moment in der Tür inne, als wolle er den Anblick der Kammer mitsamt der Toten und den beiden Mädchen am Fenster auf sich wirken zu lassen. Dann schloss er mit einer entschlossenen Bewegung die Tür und glitt mit lautlosen, zielstrebigen Schritten durch das Zimmer. Er ging neben Beatrice in die Hocke und suchte mit seinen knochigen Finger nach ihrem Puls. »Schließen Sie das Fenster, Hanna«, verlangte er, ohne aufzusehen. »Es besteht keine Notwendigkeit, den Leichnam zu kühlen.«
    Nachdem er offenbar bestätigt gefunden hatte, wovon er bereits ausgegangen war, zog Frost wie ein Zauberkünstler nacheinander die weiße Handschuhe unter seinen Frackschößen hervor, die er für gewöhnlich zum Servieren trug. Er untersuchte fast zartfühlend Beatrice’ Finger, bevor er sich näher zu den Dielen beugte und etwas aufhob. Der Butler hielt seinen Fund in das Licht. Es handelte sich um eine mit Marzipan gefüllte und mit einer Walnuss verzierte Dattel. Mit größtmöglicher Konzentration legte er sie behutsam auf dem Nachttisch ab.
    Dann erhob sich Frost, ohne die beiden Mädchen weiter zu beachten. Er entzündete den Kerzenstummel von Neuem, um noch mehr Licht zu haben, und begann damit, das Päckchen auf dem Kopfkissen zu untersuchen. Es musste bis zum Rand mit Süßigkeiten gefüllt gewesen sein. Mit Datteln und Feigen, Mandelgebäck und Marzipan. Kostbare Delikatessen, die sich keiner von ihnen hätte leisten können. Als Nächstes hielt er ein Kärtchen aus festem Papier ins Licht. Jane konnte die wenigen Schriftzüge vom Fenster aus nicht lesen, doch Frost fasste sie im nächsten Moment schärfer ins Auge.
    »Dieses Päckchen war für Sie bestimmt?«, wollte er wissen. »Ist Ihnen etwas über einen Studienkollegen Ihres Vaters in England bekannt?« Frost hielt bezeichnend die Karte hoch.
    Jane schüttelte den Kopf, noch bevor es ihr gelang, Ordnung in ihre Gedanken zu bringen. »Beatrice hat mein Päckchen an sich genommen, aber ich kenne niemanden hier in England«, sagte sie wahrheitsgetreu.
    Beides schien Frost nicht zu überraschen. Mit denselben entschlossenen Handgriffen, mit denen er das Silber polierte oder die perfekte Ausrichtung der Gedecke an der Tafel kontrollierte, räumte er das Päckchen jetzt vollständig aus. Er legte die Karte genau in die Mitte von Beatrice’ Kopfkissen und reihte die Süßigkeiten in schnurgeraden Linien darunter auf. Zuunterst holte er einen brüchigen Streifen Papyrus heraus. Jetzt konnte Jane, selbst im Gegenlicht, ohne Probleme die einzelnen Hieroglyphen darauf erkennen. Es handelte sich um eine Hieroglyphe in Form eines Falken, die für den Gott Horus stand. Maxwell Frost legte den Papyrusstreifen neben die Karte, so als hätte er im Grunde nichts anderes erwartet, aber nun eine notwendige Bestätigung erhalten.
    »Bringen Sie Jane in Ihre Kammer, Hanna«, befahl er dem molligen Hausmädchen. »Und dann steigen Sie hinab und suchen Sie Colonel Feltham. Nur ihn und ohne dass einer der anderen Gäste etwas von Beatrice’ Tod erfährt. Der Ball darf nicht gestört werden. Vielleicht bringen Sie Jane auf dem Rückweg eine Tasse Tee mit hinauf. Es dürfte eine lange Nacht werden.«

9. KAPITEL Schlaflos
    U m halb fünf Uhr morgens hatten die Streicher im Ballsaal längst ihre Instrumente eingepackt. Es eilten keine Hausdiener mehr mit randvollen Tabletts durch die Korridore. In den Salons flirrten keine Gespräche mehr durch die Luft. Das Gläserklirren war verstummt. Vor den hohen Fenstern ging lautlos ein pulvriges Schneetreiben nieder, so fein, dass Penelope die einzelnen Flocken nur erkennen konnte, wenn sie gegen die Fensterscheiben getrieben wurden. Das Glas unter ihren Fingern was eiskalt, und auch ihr Zimmer kühlte aus, nachdem das Feuer im Kamin erloschen war. Fröstelnd rieb sie ihre Zehen unter dem Nachthemd an der nackten Wade. Penny hatte es stundenlang wie eine Kugel zusammengerollt unter ihrem schweren Federbett ausgehalten, doch der Schlaf wollte sich nicht einstellen. Sie hatte auf jedes Geräusch im Haus gelauscht. Auf das Verstummen der Musik und die schlagenden Türen, auf die Wortfetzen der angetrunkenen Gäste, die auf dem Flur den Weg zu ihren Zimmern suchten. Sie hatte sich mit geschlossenen Augen das Knirschen der Wagenräder auf dem Kies vorgestellt, und wie die herumwirbelnden Flocken gegen die Windschutzscheiben der Automobile getrieben wurden, als sich die

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