Wainwood House - Rachels Geheimnis
wären die beiden Männer nur kurz vor die Tür gegangen und würden jeden Moment zurückkehren.
Penelope strebte zielsicher auf das Geheimversteck zu und betätigte den verborgenen Mechanismus in der Holzverkleidung. Erst Julians Hand auf ihrem Arm ließ sie innehalten.
»Wir werden nicht beide hineinpassen!« Obwohl sie noch allein waren, flüsterte er.
Ohne Zeit mit einer Antwort zu verschwenden, zog Penelope ihn mit sich in den Hohlraum hinter der Wand. Sie hörte Julian hinter sich leise fluchen, aber er folgte ihr. Die winzige Kammer hatte ausgereicht, um zwei Kinder zu beherbergen, doch zwei Erwachsene füllten sie zur Gänze aus. Penny stand mit dem Rücken zur Wand. Julians Ellenbogen traf sie in die Seite, als er die Geheimtür von innen schloss. Dann standen sie dicht aneinandergepresst in absoluter Finsternis. Die Wände umschlossen sie von allen Seiten, als würden sie die beiden Menschen in ihrer Mitte mit dem Mauerwerk verwachsen lassen wollen. Obwohl es genug Luft zum Atmen gab, war Penny eine Sekunde lang davon überzeugt, nur noch Ziegelstaub und Mörtel in den Lungen zu haben. Jules tastete nach ihrer Hand. Er bekam ihre Finger zu fassen und drückte sie. Keiner von beiden wagte etwas zu sagen. Sie lehnte ihre Stirn gegen seine Schulter und erwartete das erste Wort aus der Bibliothek.
Auf ihrer Seite des schmalen Verstecks gab es kein Guckloch, doch die Geräusche in der Bibliothek würden dennoch klar zu hören sein. Mit geschlossenen Augen glaubte Penny, den vertrauten Raum deutlich vor sich zu sehen. Es war ein leises Scharren zu hören, als die Tür aufgezogen wurde, und obwohl es danach still blieb, spürte Penelope die Anwesenheit eines der beiden Männer in der Bibliothek. Die Minuten zogen sich so stumm und zähflüssig in die Länge, als würden die Gesetze der Chronologie außer Kraft gesetzt. Endlich war ein erlösendes Knacken zu hören, als die Tür zum zweiten Mal geöffnet wurde. Es folgte ein gläsernes Klirren, das Gluckern von Flüssigkeit und dann ein scharfer Misston, als die Karaffe mit einem jähen Ruck wieder zurück auf das silberne Tablett gestellt wurde. Noch immer herrschte Schweigen.
»Du hattest kein Recht dazu, das Mädchen hierher zu schicken«, sagte ihr Vater endlich. Er klang nicht wie der stets höfliche und ewig gefasste Earl of Derrington, sondern wie ein Mann, der zum ersten Mal seit Jahren mit einem aufgeknöpften Kragen sprach. »Du wusstest, dass sie ihr folgen würden. Damit hast du sie ausgerechnet nach Wainwood geführt.«
»Gerade weil ich wusste, dass sie Miss Swain verfolgen würden, musste ich sie hierher schicken«, antwortete Colonel Feltham in einem Tonfall, der verriet, dass er Zeit genug gehabt hatte, über seine Worte nachzudenken, und nun bemüht war, ihnen das rechte Gewicht zu verleihen.
»Von allen Orten auf der Welt gerade hierher?«, blaffte ihn Lord Derrington unwirsch an.
Falls Feltham sich davon an etwas erinnert fühlte, war es ihm nicht anzuhören. »Ja«, sagte er ruhig, »von allen Orten auf der Welt gerade hierher. Um zu verhindern, dass sich die Geschichte noch einmal wiederholt. Um ihr Rachels Schicksal zu ersparen. Ich nehme an, du hast keine Erkundigungen über Professor Swain eingeholt?«
Das war mehr eine Feststellung als eine Frage. Und da er keine Antwort erhielt, fuhr Feltham fort: »Swain hat an derselben Stelle gegraben und dieselben Felsengräber untersucht, die wir damals während der ersten Ausgrabung besichtigt haben. Auch er hatte mit dem verschütteten Zugang im hinteren Teil des Tals zu kämpfen. Und auch er hat eine Tempelanlage tiefer im Berg vermutet. Er muss mit seiner Tochter auf dasselbe Geheimnis gestoßen sein wie Rachel damals.«
Es war ein Laut des Unwillens zu hören, der wie ein wütendes Knurren klang, dann Schritte, als hätte es ihren Vater nicht mehr länger in seinem Sessel gehalten, und endlich ein gezischtes »Du hast kein Recht, dich auf sie berufen!«.
Einen Augenblick lang herrschte Schweigen. Gerade als Penny dachte, dass Feltham darauf nichts mehr antworten würde, sagte er mit einer Stimme, die Mr Frost alle Ehre gemacht hätte: »Wenn es möglich wäre, Rachels Tod ungeschehen zu machen, würde ich alles tun, um sie zu retten! Doch nichts auf der Welt kann sie von den Toten zurückholen. Meine einzige Chance liegt darin zu verhindern, dass sich ihr Schicksal wiederholt. Und dieses Mal sind wir gewarnt!«
Es ertönte ein berstendes Klirren wie von zerspringendem Glas und dann
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