Wainwood House - Rachels Geheimnis
herumdrücken, be vor er den geheimen Mechanismus fand. Aber dann sprang die Platte zur Seite und gab den Eingang frei. Ohne Licht konnte er unmöglich erkennen, ob jemand in dem schwarzen Durchgang stand, doch er brauchte nur den Arm auszustrecken, um sich Gewissheit zu verschaffen. Penelope spürte, wie ihr Julian noch einmal die Hand drückte, dann ließ er sie los und stieg als Erster durch den offenen Spalt der Wandverkleidung in die Bibliothek. Obwohl Penelope sich wie ein erbärmlicher Feigling fühlte, empfand sie eine tiefe Dankbarkeit dafür, dass er ihrem Vater als Erster unter die Augen treten musste. Doch ihre Gnadenfrist war nur von kurzer Dauer.
»Julian«, sagte ihr Vater gefasst aber erstaunlich kalt, »warst du allein dort drinnen?«
Unter anderen Umständen hätte Penelope blind darauf vertraut, dass Julian für sie lügen würde, sodass sie in dem Versteck ausharren konnte, ohne entdeckt zu werden, doch wie Claire bereits festgestellt hatte, war ihr Bett leer.
»Nein, war er nicht.« Penny bemühte den letzten Rest Mut, der ihr am Ende dieser endlosen Nacht geblieben war, und kletterte hinter dem jungen Mann aus dem Versteck. Leider hatte sie eine recht deutliche Vorstellung davon, welchen Eindruck sie beide zusammen erweckten, sie selbst in nichts anderes als ihr Nachthemd gehüllt und Julian mit zerzaustem Haar, im Hemd und ohne Kragen. Sie hoffte nur, dass Feltham nicht auch noch erwähnen würde, dass er sie am Morgen mit dem jungen Lord Nyles hinter der Grabkapelle im Gras erwischt hatte, denn sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass ihr ramponierter Ruf in der Familie einen weiteren Tiefschlag überleben sollte.
Als Hanna Punkt neun zum Wecken an ihre Tür klopfte, war Penny überzeugt, höchstens einige Minuten geschlafen zu haben. Sie stöhnte protestierend und zog sich die Decke über den Kopf. Gedämpft durch die Daunen hörte sie, wie das Hausmädchen die Vorhänge zurückzog. Die eigentümliche Helligkeit einer weißen Schneelandschaft flutete ins Zimmer. Penelope blin zelte unter der Decke hervor. Hanna war vor Müdigkeit blass und ernst, doch sonst deutete nichts mehr auf das aufgelöste Mädchen hin, das Penny in der Nacht auf dem Korridor getroffen hatte.
»Gibt es irgendwelche Neuigkeiten?«, wollte Penny wissen, unwillig, auch nur den Kopf aus den Kissen zu erheben. Sie war erst gegen sechs Uhr früh endlich wieder in ihr Bett gekrochen. Es war unwahrscheinlich, dass sich der Butler oder das zweite Hausmädchen überhaupt noch zum Schlafen hingelegt hatten.
»Mr Frost hat der Polizei telegrafiert«, sagte Hanna und senkte dabei ertappt den Blick. »Aber Lord Derrington hat uns angehalten, kein einziges Wort darüber zu verlieren.«
Das war für Penny nicht überraschend. Selbst wenn es Colonel Feltham nicht gelungen sein sollte, ihren Vater von seinem Plan zu überzeugen, musste doch je des Gerede vermieden werden. Schlimm genug, dass ein Mord geschehen war, während das ganze Haus voller Weihnachtsgäste war. Dennoch siegte ihre Neugier. Mit halb aufgelöstem Zopf und dem Kissenabdruck auf der rechten Wange setzte Penny sich im Bett auf. »Und es weiß unten wirklich noch niemand Bescheid?«, wollte sie ungläubig von Hanna wissen. Üblicherweise sprachen sich alle außergewöhnlichen Dinge zuerst in der Küche herum.
Hanna schüttelte mit zusammengepressten Lippen den Kopf. Ihre Augen waren leicht gerötet und verquollen. Unmöglich zu sagen, ob vom Schlafmangel oder vom Weinen. »Nur, dass es ein Verbrechen gegeben hat und die Polizei kommen wird, um Fragen zu stellen«, betonte sie. Das Dienstmädchen machte ganz den Eindruck, als würde sie unter der Befragung der Polizei jedwedes Verbrechen zugeben, angefangen vom Keksdiebstahl bis hin zu solchen, von denen sie noch nie im Leben gehört hatte.
»Zumindest werde ich heute nicht als Einzige einem Verhör standhalten müssen«, stellte Penny säuerlich fest, während sie endlich aus dem Federbett stieg und sich von Hanna beim Ankleiden helfen ließ. Sie rechnete fest damit, im Laufe des Tages von ihren Eltern vorgeladen zu werden, um eine drakonische Strafe zu erhalten. Sie hatte ihren Vater noch nie derart die Fassung verlieren sehen wie in dem Augenblick, als sie hinter Julian aus der Geheimtür getreten war. Lord Derrington war in ihrem Beisein noch nie laut geworden, aber dieses Mal hatte er sie so scharf angefahren, dass Penny am liebsten zurück in das Versteck gekrochen wäre und auch Julian
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