Wainwood House - Rachels Geheimnis
Treppengeländer die weiße Schürze eines Hausmädchens und zwei Paar männlicher Hosenbeine. Ohne ein Wort zu verstehen, erkannte sie Mr Frosts gefühllose Stimme und den befehlsgewohnten Tonfall ihres Vaters. Alle drei waren sichtlich darum bemüht, niemanden aufzuwecken, und doch lag gerade in diesem stillen Treffen in den frühen Morgenstunden ein Gewicht, das Penny bis in ihr Versteck hinein spürte. Als wären sie zu einem Entschluss gekommen, wandten sich die beiden Männer zum Gehen. Penny sah hinter dem Beistelltisch mit an, wie sich das Hausmädchen gegen die Wand lehnte, kaum dass es allein war. Seine Schultern sanken herab und es vergrub sein Gesicht in den Händen. Selbst aus der Entfernung spürte Penny die Anspannung im Körper der jungen Frau, geradeso als könnte sie die Erschöpfung nicht mehr länger ertragen und würde wie unter einer unsichtbaren Last in die Knie gehen. Sie sah erst auf, als Penelope direkt vor ihr stand und beide Hände auf ihre Schultern legte. Ihr blasses Gesicht leuchtete in der Dunkelheit. Penelope konnte ihr Zittern bis in ihre Finger spüren.
»Hanna«, flüsterte sie drängend, »was ist passiert?«
Obwohl Hanna stärker war, als ihre nervöse Schüchternheit vermuten ließ, gab es auch für ihren mühsam zusammengekratzten Mut, nach einer schlaflosen Nacht mit einem Ball, einer Leiche und vergifteten Süßigkeiten, Grenzen. Auf Pennys Frage hin purzelten die Worte nur so aus ihr heraus. Sie reihten sich zu verworrenen Erklärungen aneinander und wurden von dicken Tränen begleitet, die ihr die Wangen hinabkullerten. Penny konnte nicht von sich behaupten, dass sie die verzweifelt geflüsterte Ausführung des Dienstmädchens zur Gänze verstanden hatte, doch immerhin begann sie die Lage in groben Zügen zu durchschauen. Als Hanna nur noch hilflos ihre triefende Nase hochzog, wischte ihr Penny unbeholfen mit dem Ärmel ihres Nachthemds die Tränen von den Wangen.
»Gehen Sie in mein Badezimmer, um sich das Gesicht zu waschen«, raunte sie ihr zu. »Und nehmen Sie sich auch eines von meinen Taschentüchern.«
Mit dem lästigen Gefühl, Hanna im Stich zu lassen und ihre Eltern schon wieder zu hintergehen, ließ Penny sie zurück und huschte bis zur letzten Tür am hinteren Ende des Korridors. Julian konnte unmöglich geschlafen haben, denn sie musste nur einmal leicht ge gen die Tür klopfen, damit er ihr öffnete. In seinem Zimmer brannte Licht und er hatte sich noch nicht von Samuel für die Nacht auskleiden lassen. Ein Blick in sein schmales Gesicht verriet ihr, dass er sich genauso elend fühlte wie sie. Penny schob sich an ihm vorbei ins Zimmer und begann aufgeregt gestikulierend zu erzählen. Von Beatrice’ Leichnam auf dem Dachboden und dem vergifteten Geschenk, das für Jane gedacht gewesen war. Von den Gästen, die nichts mitbekommen sollten, und von ihrem Vater, der erst nach Ende des Balls informiert worden war. Und vor allem anderen davon, dass Colonel Feltham den Hausherrn um ein dringendes Gespräch in der Bibliothek gebeten hatte.
»Großer Gott, Pence«, murmelte Julian, als sie zu einem Ende gekommen war. »Du willst sie belauschen?«
»Das ist doch keine Frage, oder? Vater schaut sich gerade Beatrice’ Leichnam an«, sagte Penny beschwörend, »und der Colonel ist noch auf seinem Zimmer. Uns bleiben höchstens ein paar Minuten.« Sie musste nicht betonen, dass dies vielleicht ihre einzige Gelegenheit war, um doch noch die Wahrheit über Rachel und Jane zu erfahren.
Julian stand mitten im Raum, die Arme vor der Brust verschränkt und den Blick auf das Muster des Teppichs gerichtet. Er hatte Schatten unter den Augen. Seine Haare standen ihm unordentlich vom Kopf ab. Sein Kragen war vom Hemd abgeknöpft. Der harte Zug um seinen Mund deutete auf eine Nacht hin, der es ganz entschieden am Geiste der Weihnacht gemangelt hatte. Doch schließlich rang er sich ein knappes Nicken ab. Es bedurfte keiner Absprachen und keiner weiteren Erklärungen zwischen ihnen. Julian hielt Penny die Tür auf und dann glitten sie Seite an Seite durch das dunkle Haus.
Mr Frost hatte in der Bibliothek Holz nachlegen lassen, denn der Raum wurde noch immer von dem Kaminfeuer erhellt. Es herrschte ein rötliches Zwielicht zwischen den Regalen, das die Schatten jenseits davon nur umso tiefer erscheinen ließ. Dank steter Dienstbeflissenheit stand selbst an diesem frühen Morgen ein Tablett mit Karaffen und Gläsern bereit. Die Sessel waren so zueinander gerückt worden, als
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