Wainwood House - Rachels Geheimnis
benutzte, ein architektonischer Ehrgeiz, den sie ihm mit unerschöpflicher Geduld abzugewöhnen suchte.
»Als einziger Sohn unter zwei älteren Mädchen kann er nur unerträglich verhätschelt werden«, erklärte Lord Nyles mit einem frohgemuten Lächeln. »Fragen Sie meine Schwestern, sie werden Ihnen das Schlimmste bestätigen.«
Mit allgemeinem Geplänkel und charmanten Scherzen wurde die Teegesellschaft aufgelöst, um sich in Ruhe für das Dinner herrichten zu können. Genevieve und Claire begleiteten den jungen Mann plaudernd hinaus, um ihm sein Zimmer zu zeigen. Julian gab Penelope ein Zeichen, ihm zu folgen, bevor er den Salon verließ. Als sie schon auf der Schwelle stand, hörte sie hinter sich den Namen des ägyptischen Dienstmäd chens fallen. Penny blieb nur ein kurzer Blick zurück über die Schulter, bevor sie endgültig den Salon verließ. Sie sah ihren Vater und Colonel Feltham wie steifgefroren am Fenster stehen. Das Unbehagen, das sie bisher unterdrückt hatten, spiegelte sich jetzt offen auf ihren Gesichtern wider. Doch gerade in diesem Augenblick rang sich ihr Vater zu einem kurzen Nicken durch und läutete nach den Dienstboten. Um kein weiteres Aufsehen zu erregen, trat Penny endgültig hinaus und zog die Tür hinter sich zu. Julian wartete an der Treppe auf sie. Mit vor der Brust verschränkten Armen stand er abwartend an das Geländer gelehnt. Sein ewig sanftes Gesicht zeigte ausnahmsweise einen grimmigen Zug. »Dieses kleine Biest«, begrüßte er Penny mit gesenkter Stimme. »Vermutlich hätte sie uns am liebsten Seifenpulver in den Tee geschüttet, hätte sie nur welches zur Hand gehabt «.
»Nein, das haben wir schon gemacht«, erinnerte Penny ihn nüchtern. »Wir waren neun Jahre alt und durften hinterher zwei Wochen lang nicht mehr zum Spielen in den Park.«
Obwohl sie Julian ansah, dass auch ihm Neuigkeiten auf der Zunge brannten, legte sie ihm beschwichtigend die Hand auf den Unterarm.
»Wir müssen in unser altes Versteck«, erklärte sie. »Ich glaube, Feltham will das ägyptische Mädchen sprechen, und das dürfen wir nicht versäumen.«
Julians Blick wanderte unwillkürlich den Flur hinunter bis zu der Tür des Dienstbotentraktes. »Bist du sicher?«
»Ihr Name fiel gerade im Salon und es wäre nur logisch«, gab Penny zu bedenken. »Er hat Jane den ganzen Weg von Ägypten bis nach Wainwood geschickt.«
Am unteren Ende des Flures hörten sie, wie eine Tür geöffnet wurde. Julian reagierte schnell. Er war mit wenigen Schritten in der Bibliothek und hielt Penny gerade lange genug die Tür auf, damit sie hindurch schlüpfen konnte. Als wären sie wieder neun Jahre alt und würden einen gemeinsamen Streich aushecken, handelten sie ohne ein weiteres Wort zu verlieren. Zielstrebig schlichen sie die langen Regalreihen entlang und hielten auf ein schnödes Stück Wandverkleidung zu. Das dunkle Holz schimmerte arglos. Es war unmöglich zu erahnen, dass dahinter etwas anderes als eine massive Steinwand lauerte. Erst als Julian mit geübtem Griff gegen eine polierte Platte der Vertäfelung drückte, sprang sie auf und gab einen schmalen Durchgang frei. Er war ein Überbleibsel lang zurückliegender Zeiten und nicht halb so aufregend wie die Geheimgänge, die sie als Kinder im ganzen Herrenhaus erfolglos gesucht hatten. Angeblich gab es in der Hauskapelle noch einen unterirdischen Tunnel, der in Zeiten der Reformation dazu gedient hatte, die Familie ungesehen zur katholischen Messe zu schmuggeln, doch Mr Frost hatte sich nie dazu erweichen lassen, ihnen die kleine Kapelle im Park aufzusperren. Auch die Suche nach dem legendären eingemauerten Leichnam von Pennys verschollener Urururgroßmutter hatte sich als kompletter Reinfall erwiesen. Julian und Penelope hatten in all den Jahren nur eine einzige verborgene Tür gefunden und der Durchgang führte enttäuschenderweise in einen lang gezogenen Hohlraum, der sich zwischen dem Salon und der Bibliothek erstreckte.
Allerdings gab er für zwei Kinder ein hervorragendes Versteck ab. Es war ein enger Durchgang, der ursprünglich einmal beide Räume durch Geheimtüren miteinander verbunden hatte und heute noch über versteckte Gucklöcher in den Wänden verfügte. Er bot gerade genug Platz für einen erwachsenen Menschen. Nach einem kurzen Blickwechsel verdrehte Julian die Augen und ließ Penny stillschweigend den Vortritt. Sie schlüpfte in den dunklen Durchlass und Julian verschloss die Holzverkleidung hinter ihr. Es waren keine Absprachen
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