Wainwood House - Rachels Geheimnis
formvollendet die dargebotene Hand zu küssen. Im Hintergrund versanken die übrigen Damen in stiller Verzückung.
»Penelope, das ist Lord Nyles«, vollendete ihre Mutter die Vorstellungsrunde. »Vielleicht erinnerst du dich noch an seine verehrte Mutter, die Countess of Berville, die uns letztes Jahr auf unserem Gartenfest besuchte?«
Zu ihrem Leidwesen erinnerte Penelope sich noch sehr genau an die Countess. Es handelte sich um eine korpulente Dame, deren einziges Gesprächsthema ihr Sohn Ruben Crockford gewesen war, der nächste Earl of Berville und gegenwärtige Lord Nyles. Es bestand also keine Notwendigkeit mehr, die Zukunftsaussichten des jungen Herrn im Adelsführer nachzuschlagen, bevor Anstrengungen unternommen werden durften, ihm Claire als Braut zu offerieren.
»Lord Nyles ist gerade von einer Reise über den Kontinent zurückgekehrt«, steuerte Claire ihr jüngst erworbenes Wissen bei. »Er ist von Paris über Wien bis nach Italien gereist.«
»Was für eine Erleichterung es für Ihre Mutter sein muss, Sie endlich wieder daheim zu haben«, konnte Penelope sich nicht verkneifen anzumerken.
»Es war die schiere Sehnsucht, die mich nach Hause getrieben hat«, konterte der junge Lord leutselig.
Nyles war ein morastiger Landstrich, der sich ganz dem Torfstechen und der Schafzucht verschrieben hatte. Ruben Crockford trug als nächster Erbe des Earls bereits zu dessen Lebzeiten den Ehrentitel eines Lords mitsamt einigen übersichtlichen Ländereien, die er vermutlich nie betreten hatte. Dank demselben Erbfolgerecht war auch Julian als Kind noch Lord Pelborne gewesen, so lange, bis der Titel des Erben bei Benjamins Geburt an einen rotwangigen Säugling mit bestickten Windeln weitergereicht worden war.
»Der Colonel war im Orient stationiert, Liebes«, erklärte Genevieve Penelope, sobald sie alle wieder saßen.
»Im Sudan«, präzisierte Feltham voll stoischer Höflichkeit.
»Wie ungeheuer faszinierend«, erklärte Penny überzeugend. Insgeheim empfand sie eine tiefe Dankbarkeit dafür, endlich sitzen zu dürfen, da ihr die Beine jeden Augenblick vor Fassungslosigkeit und Hunger unter dem Körper wegzuknicken drohten. »Beabsichtigen Sie, länger in England zu bleiben?«
»Tatsächlich habe ich um meine vorläufige Versetzung gebeten.« Trotz seiner hünenhaften Statur sprach Thaddeus Feltham ungewöhnlich leise, doch so akzentuiert, dass er sich der Aufmerksamkeit seiner Zuhörer gewiss sein konnte. »Auf der Heimreise habe ich Lord Nyles kennengelernt, der mir freundlicherweise seine Gesellschaft angeboten hat.« Es war angesichts seines starren Gesichtsausdrucks unmöglich zu sagen, ob es ihm tatsächlich ein Vergnügen gewesen war, mit dem jungen Mann zu reisen, doch zumindest lächelte Lord Nyles bekräftigend.
»Sie müssen unbedingt ein paar Tage auf Wainwood verweilen, Colonel«, erklärte Genevieve, die prompt eine neue Möglichkeit entdeckt hatte, einen potenziellen Heiratskandidaten noch ein wenig länger im Hause zu halten. »Wir bereiten uns gerade auf die Fuchsjagd vor. Das Feld der Reiter kann jede Verstärkung gebrauchen. Selbstverständlich gilt dies auch für Sie, Lord Nyles. Ach, meine Herren, ich dulde keine Widerrede!«
Keiner der Anwesenden schien von diesem Anliegen überrascht zu sein, war es doch eine gängige Strategie, ledige junge Männer übers Wochenende zur Jagd einzuladen, um sie mit den Töchtern im heiratsfähigen Alter bekannt zu machen. Es war die einfachste Möglichkeit, einander näher kennenzulernen und dabei gleichzeitig die Grenzen der Schicklichkeit zu wahren. Erwartungsgemäß erklärte Colonel Feltham also, dass er mit Freude bleiben würde, und auch sein junger Begleiter konnte nicht umhin, die Einladung ebenfalls anzunehmen. Claire strahlte über das ganze Gesicht, während der Rest der Teegesellschaft einvernehmlich mit den zierlichen Silberlöffeln in den Tassen rührte und die geschmackvolle Ausstattung des Salons bewunderte.
Als erfahrene Gastgeberin steuerte Genevieve die Gespräche mit unsichtbarer Hand. Sie streute Komplimente und Fragen aus, gab der Unterhaltung immer gerade rechtzeitig eine neue Wendung, bevor sie zu ernst werden konnte, und ließ keine Gelegenheit ungenutzt, Claire in ein vorteilhaftes Licht zu rücken. Dieses Glanzstück der gepflegten Konversation gab Penelope die Gelegenheit, so unscheinbar wie möglich zu sein. Ein Zustand, der ihr wohlvertraut war und genug Raum bot, um ihren eigenen Gedanken nachzuhängen. Das Kaminfeuer
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