Wainwood House - Rachels Geheimnis
Blick blieb an Jane kleben. »Es wird im Salon nach Ihnen verlangt.«
In der Gewissheit, für ein Vergehen zur Rede gestellt zu werden, von dem sie noch nicht die geringste Ahnung hatte, stand Jane wieder auf. Als sie hinausging, setzte hinter ihr prompt das Geflüster der anderen Mädchen ein. Der Weg war ihr inzwischen so vertraut, dass ihre Füße ihn von selbst fanden. Sie eilte die knarrenden Holzstiegen hinauf und überschritt die Grenze zum herrschaftlichen Bereich. Im selben Augenblick verfiel sie in eine würdevollere und vollkommen lautlose Gangart. Nach einem präzise abgemessenen Klopfen betrat sie mit gestrafften Schultern und gesenktem Kinn den Salon. »Sie haben nach mir geschickt?«
Noch während Jane die Frage aussprach, hob sie den Blick und sah sich unverhofft dem Mann gegenüber, der sie nach dem Tod ihrer Eltern in der Wüste gefunden hatte. Sie hatte Colonel Feltham bisher stets in seiner Uniform gesehen, mit militärischer Strenge gewappnet, und er erschien ihr inmitten der Behaglichkeit des Salons so deplatziert wie sie selbst auf dem Posten eines Dienstmädchens. Das bizarre Gefühl, nur an einer sorgsam einstudierten Aufführung teilzunehmen, verstärkte sich noch, als Feltham sich so höflich nach ihrer Reise erkundigte, als hätten sie sich erst vor ein paar Tagen zuletzt gesehen und nicht Monate zuvor auf einem anderen Kontinent.
»Es gab keinerlei Probleme. Mrs Tillings hat sich sehr um mich bemüht«, lautete Janes vorbildliche Antwort. Einen irrwitzigen Moment lang war sie tatsächlich versucht zu glauben, das nichts dabei war, sich in neu verteilten Rollen auf Wainwood wiederzubegegnen. Als wäre dieses Treffen nicht mehr als eine Formalität, eine Notwendigkeit, die sich aus dem Ablauf der Ereignisse ergeben hatte. Der Gedanke, dass dies ihr neues Leben bleiben würde und Colonel Feltham nur ein höflicher Gast darin war, der vorüberziehen würde, ohne mehr als einen flüchtigen Abdruck zu hinterlassen, jagte ihr einen größeren Schrecken ein als all ihre Albträume.
»Keine unangenehmen Zwischenfälle?«, erkundigte sich Feltham mit unbewegter Miene. Hinter seinen Fragen lauerte die altbekannte Wachsamkeit eines Soldaten, der auch zwischen den Zierbüschen des Parks noch mit einem Angriff aus dem Hinterhalt rechnete. »Keine fremden Spuren in Ihren Kabinen oder merkwürdige Begebenheiten?«
»Nichts dergleichen«, erklärte Jane und spürte, wie der Knoten in ihrem Magen sich zu lösen begann. »Die Überfahrt war ausgesprochen unspektakulär.«
Diese Nachricht schien Feltham zufriedenzustellen und seine Haltung entspannte sich kaum merklich. »Sie haben viel durchgemacht, und es täte mir leid, wenn Sie nicht endlich zur Ruhe finden würden.«
Jane verkniff sich heldenhaft die Frage, ob er sich das Leben eines Dienstmädchens besonders ruhig vorstellte. Aber dies war nicht der Augenblick, um sich über ihre neue Stellung zu beklagen, sondern vermutlich ihre letzte Chance, einige der Gedanken auszusprechen, die ihr beim Bodenschrubben und Bettenmachen unermüdlich durch den Kopf gingen. »Haben Sie Neuigkeiten zum Tod meiner Eltern, Sir?«
»Ihre verehrten Eltern sind bei einem Unfall ums Leben gekommen, Miss Swain«, erklärte der Colonel unverblümt. »Darin liegt eine unbestreitbare Endgültigkeit.«
»Mein Vater hat niemals mit Dynamit gearbeitet«, erklärte Jane in einem Tonfall, der keinem Dienstmädchen zustand.
»Einmal hat er es offenbar getan«, schoss Feltham ungerührt zurück.
»Sie wissen, dass das nicht stimmt. Sie waren doch auch da!«, beharrte Jane.
»Und das war Ihr Glück«, erinnerte Feltham sie. »Denn sonst hätten Sie heute keine Gelegenheit mehr, mit Ihrem Schicksal zu hadern.«
Damit versetzte er Jane einen gehörigen Dämpfer. Sie mochte an Felthams Motiven zweifeln und sich fragen, was er in der Wüste zu suchen gehabt hatte, doch ohne ihn wäre sie in mehr als einer Hinsicht verloren gewesen. »In der Grabanlage war etwas Befremdliches. Etwas oder jemand, tief in den unterirdischen Gängen«, erklärte sie in einem beschwörenden Tonfall.
Neben der rhythmisch tickenden Standuhr und den schimmernden Seidentapeten des Salons wirkte ihre Behauptung nicht halb so überzeugend, wie sie es noch in dem von der Explosion verwüsteten Ausgrabungslager getan hatte.
»Sie waren halb verdurstet und haben halluziniert«, ermahnte sie Colonel Feltham mit einer Gelassenheit, die in Jane den dringenden Wunsch weckte, noch einmal ein Tablett mit
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