Wainwood House - Rachels Geheimnis
keinerlei Bedauern mitschwang. »Sie finden gewiss allein auf die andere Seite des Flusses zurück! Viel Vergnügen bei der Jagd.«
Ohne ihre Antwort abzuwarten, riss Feltham sein Pferd herum und galoppierte den Weg zurück, den sie gekommen waren. Er ritt so schnell, dass Penelope zu einer scharfen Verfolgungsjagd hätte ansetzen müssen, um ihn einzuholen. Stattdessen lenkte sie ihr Pferd langsam die Anhöhe hinunter, bis sie den Fluss erreichte, der sie von der fröhlich schwatzenden Gruppe trennte. Am anderen Ufer war Claire im Kreis der Jäger aus dem Sattel gestiegen. Lord Nyles hielt ihre Hand und schien aufmunternd auf sie einzureden, während ihr der Anführer der Jagd die Wangen mit dem frischen Fuchsblut bestrich, zum Zeichen, dass sie ihre erste Fuchsjagd bestanden hatte. Eine einzelne hellblonde Locke hatte sich unter ihrem Zylinder gelöst und bildete einen reizenden Gegensatz zu dem strengen schwarzen Hut. Ihre Wangen waren nicht nur vom Blut, sondern auch vom Reiten durch die Kälte gerötet. Ihre grenzenlose Erleichterung darüber, nicht vom Pferd gefallen zu sein, schlug gerade in Euphorie um. Scherze und Gelächter flirrten hin und her. Claire schimpfte der Form halber mit den Jägern, doch auch ihr energischer Tonfall täuschte nicht über das Strahlen auf ihrem Gesicht hinweg. Sie stand eingebettet im Zentrum der allgemeinen Bewunderung da und war so unbestreitbar schön, dass schon der bloße Anblick schmerzte.
Penelope blieb am gegenüberliegenden Ufer. Sie fragte sich zum ersten Mal in ihrem Leben, wie es sich anfühlen musste, Claire zu sein, mit der untrüglichen Gewissheit, eine Saison hindurch auf jedem Ball zu glänzen und noch vor ihrem zwanzigsten Geburtstag zum Altar geführt zu werden. Es genügte ihr hinüberzusehen, um zu wissen, dass Claire vollends glücklich war. Als alle wieder zurück in die Sättel stiegen, beneidete Penny ihre Schwester mit einer unverhofften Heftigkeit darum, stets allen Erwartungen genügen zu können und dabei nicht das Geringste zu vermissen. Die Reiter trabten wieder an. Die Meute wurde von dem Hundemeister herbeigepfiffen. Penny wusste, dass sie zurück zur Fuhrt reiten musste, wenn sie die Jäger nicht aus den Augen verlieren wollte. Doch sie zögerte.
Gerade als sie ihre Stute wieder antreiben wollte, sah Lord Nyles an Claires Seite über den Fluss zu ihr hinüber. Ihre Blicke wurden wie durch ein physikalisches Gesetz voneinander angezogen. Doch dann wandte Claire sich zu ihm herum, der junge Mann reichte ihr sein Taschentuch und der Moment war vorüber. Das Feld ritt wieder an, von Neuem der Meute nach, doch anstatt endlich aufzuschließen, riss Penelope ihr Pferd herum und verfiel in einen leichten Galopp über die offene Flur zurück nach Wainwood.
Doch auch beim Heimritt über die abgeernteten Felder kehrte ihre gute Laune nicht wieder zurück. Als sie beim Herrenhaus ankam, wollte Penelope nur noch zum Lesen in den Glockenturm. Die Jagdgesellschaft war noch nicht wieder zurückerwartet worden und sie fand das Haus bei ihrer Ankunft wie leer gefegt. Penelope ließ nach Hanna schicken, damit sie ihr beim Umziehen helfen konnte. Da ihre Rückkehr unbemerkt geblieben war, beschloss Penny, nicht zum Lunch hinunterzugehen, sondern sich stattdessen später ein Sandwich bringen zu lassen. Für gewöhnlich vermied sie es bei Tage, in den Turm zu steigen. Das Dachgeschoss gehörte zum Hoheitsgebiet der Dienstboten. Es war nur über ein düster verschachteltes Treppenhaus zu erreichen, in das die Familie so gut wie nie einen Fuß setzte. Penny wollte hier nicht erwischt werden. Also schlüpfte sie auf Zehenspitzen durch die Tür in das düstere Stiegenhaus und verharrte auf dem Treppenabsatz, um zu lauschen.
Gerade, als sie überzeugt war, allein zu sein, vernahm sie unter sich zwei gesenkte Stimmen, die in einem dringlichen Tonfall miteinander flüsterten. Penelope zögerte kurz, doch dann siegte die Neugier über ihre gute Erziehung. Lautlos ließ sie sich in die Hocke sinken, um durch das Geländer zu spähen. Nur eine Treppenwindung tiefer standen zwei unverwechselbare Gestalten dicht beieinander. Es waren der ausgesprochen massig gewachsene Colonel Feltham und Mr Frosts hagere Erscheinung. Die Vertrautheit, die zwischen ihnen herrschte, sprach deutlich aus der Art, wie sie ihre Köpfe zusammensteckten. Sie hatten die Stimmen so weit gesenkt, dass Penny nur einzelne Worte aus ihrer Unterhaltung heraushören konnte.
»Die Schatten … bereits
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